Freitag, 8. April 2016

Mitten in Deutschland: NSU (2016)



MITTEN IN DEUTSCHLAND: NSU
Deutschland 2016
Dt. Erstaufführung: 30.03./04.04/06.04.2016 (TV-Filme)
Regie: Christian Schwochow/Züli Aladag/Florian Cossen

(Die folgenden Kurzbesprechungen zu den drei Filmen der Reihe Mitten in Deutschland: NSU wurden vorab auf letterboxd veröffentlicht.)


DIE TÄTER - HEUTE IST NICHT ALLE TAGE

Der erste von drei Filmen über den rechtsextremen Terror, der 2011 als sogenannter „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt wurde, ist gleich ein großer Griff ins Leere. Angefangen mit der fragwürdigen formalen Entscheidung, den Reigen mit den Tätern zu beginnen, bietet der Film darüber hinaus nicht viel mehr als das übliche rechte Gruselkino á la „Kriegerin“. Eine fahrige Wackelkamera soll Authenzität vermitteln, wenn das Nazitrio Stichworte abfeuert, sich immer wieder von völkischer Musik aufgeilen lässt oder – daran haben Neonazifilme augenscheinlich ein besonderes Interesse – unfotogenen Sex hat. Dabei ist der Film gar nicht an irgendetwas jenseits des altbekannten interessiert. Da er gleich zu Beginn klar macht, sich sehr viel mehr als Spielfilm denn als dokumentarisch angehauchte Aufarbeitung zu verstehen, erzählt er spekulatives über das arme, schlichte, verführte Mädchen Beate Zschäpe, die in den Wirren der Wendezeit an die falschen Typen gerät und eigentlich mal eher politisch links zu verorten war. Da Zschäpe, wie es sich für eine 08/15-Dramaturgie gehört, als menschlicher Ankerpunkt für den Zuschauer fungiert, redet der Film, bei aller Drastik einzelner Szenen (episodenhaft werden Mütter mit Babys bedroht, Fußgelenke gebrochen und Zähne ausgeschlagen), rechte Gesinnung ein Stück weit klein - die beiden dumpfen Uwes als die Verführer.

Der Film mag ja laut Aussagen von Szeneaussteigern den Weg ins rechtsextreme Milieu recht akkurat darstellen, aber eben weil der Film so sehr Spielfilm ist, oft geradezu in den Darstellungen angespannter Körper schwelgt, offenbart er auch, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist. Wer exemplarisch den Weg in eine mörderische, rassistische Gesellschaft zeigen will, der wäre hier mit einem gänzlich fiktiven Werk wohl besser aufgehoben. So werden Vermutungen und Spekulationen, die eigentlich erst im noch laufenden Verfahren gegen Zschäpe aufgearbeitet werden sollen, durch die Macht des Films zu Wahrheiten. Die Täter – Heute ist nicht alle Tage spielt damit auch der Überlebenden des Trios in die Hände, die sich den medialen Sexismus ja schon zunutze machte und sich selbst als „armes Frauchen“ stilisierte. Die richtig Schlimmen, dass sind immer die Anderen. Der Film ist, obwohl die öffentlich-rechtlichen Sender auch schon differenzierte Dokus zu dem Thema produziert haben, ein Zugeständnis an ein unterstelltes Zuschauerinteresse, dass Geschichte nur in fiktionalisierter Form goutieren kann und will. Quintessenz: der NSU ist (noch) in Dokumentationen besser aufgehoben, Rechtsextremismus im Film sollte sich von der Legitimation durch derartige reale Ereignisse ein Stück weit emanzipieren – Strukturen und Mechanismen lassen sich genauso gut offenlegen, wenn man sich nicht aus einem wie auch immer gearteten Realitätsanspruchs der Namen realer Täter bedient.
So gibt es in „Die Täter“ denn auch lediglich eine Sequenz, die auf eine Kraft hindeutet, die ihm durch solch eine Loslösung hätte gegeben werden können: als im Fernsehen über die Einschränkung des Asylrechts von staatlicher Seite gesprochen wird, sind die Neonazis begeistert: „Genau unsere Worte!“ Zu Zeiten, in denen Rechtspopulisten und Rechtsextreme in ganz Europa einen ungesunden Zulauf erleben, hätte ein Film mit diesem Sujet durch solche Szenen mehr erreichen können als durch das episodische Abspielen von widerwärtigen Taten, ausgeübt von widerwärtigen Menschen.





DIE OPFER – VERGESST MICH NICHT

Der zweite Teil der Trilogie Mitten in Deutschland: NSU über die Gräueltaten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ist eine einzige Entschuldigung für den fehlenden Fokus des ersten Teils über die Täter, schon allein weil er die lange Zeit marginalisierte und kriminalisierte Seite der Opfer erzählt. Mit einer beängstigenden Beiläufigkeit fallen Urteile wie „Aufenthalt in den Niederlanden = Drogenhandel“ oder Nebensätze wie „Ohne Hakenkreuze keine Nazis“, die eine rassistisch geprägte Engstirnigkeit der Behörden offenbart, die das dadurch verursachte Leid der Familien mit einer für einen ARD-Film doch beachtliche Intensität erfahrbar macht. Die Opfer macht wütend, so einfach ist es.
Exemplarisch an der Familie des ersten Mordopfers, des Blumenhändlers Enver Simsek, erzählt, schildert der Film lange Jahre der Verdächtigungen, Anschuldigungen, geradezu monströsen Manipulationsversuchen und einem nie plakativ werdenden Abfall vom Glauben an die deutschen Behörden. Die am Ende geäußerte Entschuldigung eines gegen Windmühlen kämpfenden Mitarbeiters wirkt an diesem Punkt wie ein denkbar schwacher Trost. Es ist ein Kampf Davids gegen Goliath, obwohl Goliath doch eigentlich zum Schutz dieses Davids da sein sollte.

Filmisch mitunter auch etwas zu sehr auf eine pseudo-authentische Wackelkamera setzend und an einer entscheidenden Stelle eine unpassenden Schnitt setzend (vgl. Blood Diamond) inszeniert Regisseur Züli Aladag aber insgesamt konzentriert, emotional ohne ins melodramatische abzudriften und weiß vor allem seine engagierten Darsteller gut in Szene zu setzen. Vor allem Almila Bagriacik ist großartig in ihrem ewigen Wechsel – mal spaßige Schwester, mal emotionaler Punchingbag für die Mutter, mal großartig selbstbewusst („Sprechen Sie deutsch?“ – Natürlich. Sie auch?“), mal so am Rande des Zusammenbruchs, als wäre der Zuschauer mit ihr in einem Raum, inmitten der Situation.

Die Opfer ist ein hervorragender Film, der das Spielfilmformat auch sehr viel sinnvoller zu nutzen weiß als Die Täter. Während der eine nichts über die Mechanismen des Hasses erzählen kann, erzählt der andere alles über die Mechanismen der Trauer und des Verlustes. Es ist ein respektvoller Film (erwähnenswert ist auch, dass er nicht alle Passagen in türkischer Sprache untertitelt – Familienalltag ähnelt sich doch überall frappierend und bedarf keiner Übersetzung), sehr viel besser als man erhoffen durfte. Er stellt den kalten Fakten und auch dem kalten Hass etwas entgegen, dass allzu oft in Geschrei, Hysterie und Angst untergeht: menschliche Empathie.





DIE ERMITTLER – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH

Als Abschluss der Spielfilmbearbeitung der NSU-Morde steht Die Ermittler, ähnlich wie die involvierten Protagonisten, zwischen den Stühlen. Er ist nicht so nichtssagend wie Die Täter, aber auch bei weitem nicht so involvierend wie Die Opfer. Er besitzt die der Thematik angemessene Konzentration, verfängt sich aber filmisch immer wieder in allzu plakative Stilgriffe, dem „provozierenden“ Blickes Beate Zschäpes direkt in die Kamera von Die Täter nicht unähnlich. Dialoge wirken hölzern, die Verknüpfung mit lyrischem Kulturgut arg bemüht, die dramaturgische Entscheidung, einen Teil des Films quasi in einem „exposition dialogue“ Revue passieren zu lassen, holprig.
Von großer Schlagkraft ist aber auch hier die Beiläufigkeit, mit der Ungeheuerlichkeiten illustriert werden: der Tatort, der willentlich so rüde behandelt wird, dass er zu nichts mehr zu gebrauchen ist, die Vernichtung von Akten in trostlosen Kellerräumen, die Verbindung von Staatsschutz und Neonazis. Vieles wirkt zwar wie eine Degeto-Version eines Agententhrillers, eine filmische Entsprechung einer Fleißarbeit, der die persönliche Nähe von Die Opfer abgeht, doch wenn am Ende ein Zeuge auf mysteriöse Weise stirbt weist der Film auch darauf hin, dass er zum jetzigen Zeitpunkt wohl nur der fragmentarischste Beitrag zur Trilogie sein kann.
Hass ist ebenso real wie Trauer, das kolossale Versagen der Behörden dürfte durch eine geschickte Verschleierungstaktik wohl noch lange auf eine vollständige Aufarbeitung warten müssen – wenn sie denn jemals gänzlich zu Ende geführt werden kann.
Die Ermittler ist trotz der Brisanz seines Sujets, trotz Ausbrüchen von Nazigewalt und einigen Einstellungen, die einen gewissen Kunstwillen erkennen lassen (der Ausflug in die Welt von Eyes Wide Shut muss dennoch als nicht gänzlich gelungen bewertet werden), der nüchternste Film der Reihe. Zwischen den anderen Teilen, zwischen völkischem Gruselkabinett und menschlicher Aufrichtigkeit, versucht er sich an einer Objektivität, die in ihrer Gänze einerseits durch das laufende Verfahren noch nicht hergestellt werden, zum anderen wohl erst danach einen Spielfilm dieses Kalibers entstehen lassen kann. Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch ist ein Justizthriller, dessen Verhandlungspunkt gerade noch von der Justiz mühsam bearbeitet wird. Es wird spannend sein, ihn in vielleicht zehn, zwanzig Jahren noch einmal herauszukramen.





Abschließende Gedanken zur gesamten Trilogie: Gut gemeint und zumindest partiell gut gemacht. Am Ende erweist sich die Menschlichkeit als der stärkste Faktor in diesem Reigen, was eine zumindest etwas tröstliche Note hat. Züli Aladag hat den besten Film abgeliefert, Christian Schwochow den schwächsten. Das Nazi-Problem bleibt in Deutschland nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Film bestehen, dafür marginalisiert man ausnahmsweise nicht die Opfer. Filmisch hätte alles noch schlimmer kommen können, doch das Gefühl bleibt, dass die Zeit noch nicht ganz reif ist, das Thema NSU sinnstiftend im Spielfilm zu behandeln. Ein interessanter, nur zu einem Drittel wirklich erfolgreicher Ansatz, der immerhin als Aufhänger für Diskussionen gut sein könnte.