Mittwoch, 2. März 2016

The Wave - Die Todeswelle (2015)




THE WAVE – DIE TODESWELLE
(Bølgen)
Norwegen 2015
Dt. Erstaufführung: 24.02.2016 (DVD-Premiere)
Regie: Roar Uthaug

Der tief ins Festland reichende Geirangerfjord ist eine der größten Touristenattraktionen Norwegens. In der Hauptsaison wird der kleine Ort ständig von Kreuzfahrtschiffen belagert, aus deren Innern sich Ströme von Besuchern ergießen, die mit Bussen die schmalen Straßen hinauf gekarrt werden, um von den Aussichtsplattformen ein Foto von ihrem unten im Fjord  liegenden Schiff zu schießen. Der Campingplatz des Ortes bietet Wohnmobilfahrern VIP-Plätze mit Blick auf das Schiffspektakel an und aus eigener Anschauung weiß ich, dass eine der Hauptsorgen der Kreuzfahrer ist, ob nach den Ausflügen denn noch genug Zeit bleibt, um im großzügigen Souvenirshop etwas Geld unters Volk zu bringen. Die fantastische Natur, die sich, wie so oft in Norwegen, in ihrer vollen, atemberaubenden Schönheit erst abseits der Straßen erschließt, scheint hier nur Staffage zu sein. Geiranger ist ein hübscher, aber auch seltsamer Ort. Und er ist akut gefährdet, sind sich Geologen doch einig, dass eine der beeindruckenden Felsformationen irgendwann abbrechen und in den Fjord stürzen wird. Die damit ausgelöste Flutwelle könnte verheerende Folgen haben und es wäre nicht das erste Mal, dass Norwegen von solch einer Naturkatstrophe heimgesucht werden würde. Kurzum, es ist das perfekte Setting für den ersten Katastrophenfilm des Landes, der bei allen genrekonformen Elementen und ziemlich unecht aussehendem CGI-Wasser auf einer unterhaltsamen Ebene besser ist, als man erwarten durfte (auch wenn das Poster ein Kreuzfahrtschiff verspricht, dieses aber nicht im Film vorkommt). The Wave, in Deutschland direkt auf Heimmedien gewandert und mit einem Untertitel versehen, der auch dem letzten Zuschauer verständlich macht, um was es geht, ist all das, was man von einem Film dieses Kalibers erwartet, nur mit weniger cheese als seine US-amerikanischen Cousins.

Für den leicht zerstreuten Geologen Kristian (Kristoffer Joner) und seine Familie, die Hotelmanagerin Idun (Ana Dahl Torp) und die Kinder Sondre (Jonas Hoff Ostebro) und Julia (Edith Haggenrud-Sande) steht der Abschied von Geiranger bevor. Nach Jahren als Mitarbeiter des örtlichen Überwachungsteams für die gefährdeten Felsformationen rund um den Fjord wurde er von der Ölindustrie abgeworben, der Umzug nach Stavanger steht kurz zuvor. Doch in der letzten Nacht im Ort passiert das, was lange prognostiziert wurde: die Felsen geben nach, krachen in den Fjord und jagen einen viele Meter hohen Tsunami Richtung Geiranger. Nach dem Alarm bleiben Kristian nur zehn Minuten, um sich, seine Familie und möglichst viele weitere Menschen auf eine sichere Höhe zu bringen. Doch kann man den Wettlauf mit einer Naturgewalt überhaupt gewinnen?

The Wave gelingt es schnell, Sympathien für seine Figuren zu generieren. Kristian ist kein Nerd, wie ihn Hollywood produzieren würde. Er überlässt zwar seiner Frau die handwerklichen Aufgaben im Haushalt (auch ein Ausdruck der selbstverständlichen Gleichberechtigung in Norwegen) und geht vor allem in seinem Metier auf, aber er verhält sich wie ein normaler, liebenswerter Mensch und nicht wie eine trottelige Karikatur. Die Kinder verhalten sich ebenso wie normale Kinder, die Beziehung der Erwachsenen ist auf eine Art gewöhnlich wie sie im Kontext des Genres geradezu erfrischend daherkommt. Auch werden unserem Protagonisten nicht umständlich behördliche oder zwischenmenschliche Steine in den Weg gelegt, wenn er die Katastrophe prophezeit geht niemand großspurig über ihn hinweg oder ein bornierter Bürgermeister fürchtet um ein anstehendes Fest. Kristian ist lediglich vorsichtiger als andere und auch dies trägt dazu bei, dass The Wave sich nicht im Netz seiner offensichtlichen Vorbilder verheddert. Hier ist alles etwas gesetzter, unaufgeregter, menschlicher.

So kann man mit den Charakteren durch die Handlung wandern und auch deren Dramaturgie mittragen, die sich bei aller zwischenmenschlichen Liebe natürlich nicht von der üblichen Drei-Akt-Struktur unterscheidet: Nach dem Setup kommt die Katstrophe und dann die Rettung. In jedem Akt gibt es etwas, dass den Film sehenswert macht, besonders hervorzuheben ist eine wahrlich gespenstische Szene gegen Ende, die sich ebenso gegen die üblichen Klischees stemmt wie die Figurenzeichnung und die einen Bus involviert.
Das Herzstück des Films, die hereinbrechende Katstrophe, wird erstaunlicherweise zur Zäsur für den in seinem Entstehungsland ziemlich erfolgreichen Film. Mit der nötigen emotionalen Nähe kann das Adrenalin hier wirklich fließen, wer mehr darauf achtet, wie schwer es immer noch ist, glaubwürdiges Wasser im Computer entstehen zu lassen, der wird womöglich mehr amüsiert sein. Die monströse Naturkraft sieht gerade bei ihrem ersten Shot genauso aus – wie ein Monster, dem die Animatoren gar nicht genug Wirbel, Wellen und Schaumkronen geben konnten. Wahrscheinlich sollte man froh sein, dass die Welle nicht auch noch ein Löwengebrüll anstimmt wie der Wirbelsturm in Twister. Die eigentliche Zerstörung Geirangers ist dann kurz, heftig, trotz CGI-Wassers besser gelungen und auch das Bild, wie sich die Wassermassen um eine Fjordbiegung schieben, ist Stoff für Alpträume. In der Logik des Geschehens gibt es zudem nicht unzählige Nachkatastrophen, die Welle trifft, zerstört und hat ihr Werk damit getan.

The Wave ist kein überragender Film und wirklich verwundert darüber, warum er hierzulande nur auf Heimmedien erschien, ist wohl auch niemand. Aber er hat – und das ist bei Katastrophenfilmen kein Standard – das Herz am rechten Fleck. Tiefenanalytisch ist es wohl konservativ, eine generische Familie in den Mittelpunkt zu stellen und darüber hinaus alle anderen Charaktere ein Stück weit zu negieren, aber eben weil der Film so unangestrengt dabei ist, uns Kristian und die Seinen als beachtenswert zu verkaufen, verdient er Respekt. Kann das Spektakel mitunter unfreiwillig komisch wirken? Ja. Zieht der Film im dritten Akt ein paar klischeehafte Register zu viel? Auf jeden Fall. Wartet er mit mehr Unterhaltungswert auf, als man ihm hätte zutrauen können? Auch das ist wahr. The Wave ist ein Genrefilm für alle, die von den markigen Heldenposen á la San Andreas und 2012 und ihrem unstillbaren Durst nach totaler Zerstörung inzwischen eher angeödet denn unterhalten sind.




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