Montag, 20. April 2015

Der Babadook (2014)




DER BABADOOK
(The Babadook)
Australien 2014
Dt. Erstaufführung: 07.05.2015
Regie: Jennifer Kent

Der Babadook hat trotz seines geringen Alters bereits ein bewegtes Leben hinter sich. 2014 zum ersten Mal auf dem Sundance Filmfestival gezeigt und im Mai desselben Jahres in seinem Entstehungsland Australien angelaufen, verbreitete sich schnell die Kunde von einem neuen Meilenstein im Horrorgenre – dem besten Monsterfilm in einer langen Zeit. Nun muss man mit solchen Superlativen immer etwas vorsichtig sein, gerade wenn man die doch recht unterschiedlichen Rezeptionshintergründe angloamerikanischer und europäischer Kritiker bedenkt. Die Diskrepanzen sind oftmals ebenso verblüffend wie tiefgreifend. Vielleicht hilft dem Babadook seine Heimat down under, dass er sich willentlich den generischen Mustern des Genres, wie sie das US-Creature-Feature zementiert zu haben scheint, widersetzt. Wer einen „klassischen“ Horrorfilm erwartet, wird wohl bitter enttäuscht werden. Als psychologisches Drama, dessen Dechiffrierung keine allzu großen Anstrengungen erfordert, aber dennoch stimmig daherkommt, ist Der Babadook allerdings ein Erfolg. Regisseurin Jennifer Kent inszeniert bemerkenswert selbstsicher und macht aus ihrem Spielfilmdebüt ein passables Drama um Trauer und Verantwortung.

Amelia (Essie Davies) hat ihren sechsjährigen Sohn Samuel (Noah Wiseman) allein erzogen, weil ihr Mann Oskar ums Leben kam, als er Amelia mit Wehen ins Krankenhaus gefahren hat und auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle verlor. Seitdem lebt Amelia in einem Zustand der Verdrängung – Oskar und sein Tod werden konsequent ausgeblendet. Samuel beginnt eines Tages, enervierendes Verhalten an den Tag zu legen: er schläft kaum noch und wenn, hält er als Bettgast seine Mutter von selbigen ab – und er baut diverse Waffen, um sich gegen die imaginären Monster zu verteidigen, die ihn und seine Mutter bedrohen. Dies weitet sich aus, als Amelia und Samuel ein makaberes Kinderbuch lesen, in dem von einer Kreatur namens Babadook die Rede ist, die, ist man sich erst ihrer Existenz bewusst, die betreffenden Menschen verfolgt und in den Wahnsinn treibt. In der Folge ereignen sich seltsame Dinge: Geräusche ohne scheinbare Ursache, Glas in Amelias Essen, unheimliche Anrufe. Samuel ist von der Präsenz des Monsters überzeugt, während Amelia durch Schlafmangel und ihre eigenen Visionen des Babadooks zusehends unberechenbarer und zu einer Gefahr für sich und ihren Sohn wird.

Der Babadook basiert auf dem effektiven, stilsicheren Kurzfilm Monster, ebenfalls aus der Feder Kents, und adaptiert die elegante Schwarz/Weiß-Geschichte werkstreu für die Leinwand, auch wenn Farben immer noch keine große Rolle in diesem Kosmos spielen. Dies ist nur ein Anhaltspunkt dafür, den Film nicht als bloße Repräsentation einer filmischen Realität zu sehen. In Der Babadook vermischen sich Gemütszustand und Wirklichkeit, Emotionen nehmen Gestalt an und terrorisieren die Protagonisten, der Zuschauer sieht nicht den Blick einer „neutralen“ Kamera, sondern direkt aus dem gequälten Inneren Amelias hinaus in die Welt. Es geht in Der Babadook, das ist auch ohne tieferes filmtheoretisches Wissen/Gespür deutlich, um Trauer. Seit dem gewaltsamen Tod Oskars hat Amelia dieses Ereignis verdrängt, hat sich ganz auf ihren Sohn konzentriert und die Aufarbeitung des traumatischen Ereignisses völlig außer Acht gelassen. Doch gehört es zum psychologischen Grundwissen, dass verdrängte Gefühle sich immer wieder Bahn brechen. Die Sprachlosigkeit und das ihrer Umwelt auferlegten Verbot, auch nur Oskars Namen zu erwähnen, führen schließlich zu einem immer mächtiger werdenden emotionalen Sog, in dem Kent sich traut, einige heikle Fragen zu stellen, die so gar nicht in das kuschelige Familienideal passen wollen, dass mensch sich von der Elternrolle macht.

Kindererziehung dürfte, da muss man wohl nur die eigenen Eltern befragen, eine der herausforderndsten Aufgaben sein, denen sich Menschen stellen können. Bei allem, was zudem Elternblogs dokumentieren, ist auch die Welt des Werbefernsehens, in dem stets nur gut gelaunte Bilderbuchfamilien durch die Welt tollen, eine Illusion, ist es eben nicht immer nur eitel Sonnenschein und gerade auf Alleinerziehende kommt eine ganze Flut an An- und Überforderungen zugerollt. Es ist nicht das Anliegen von Der Babadook, die Erziehungsleistung von Alleinerziehenden irgendwie in Frage zu stellen, aber der Film lässt zu, dass sich die Mutter (und mit ihr der Zuschauer) mit den Dämonen der Erziehung (buchstäblich) auseinandersetzt. Amelia transferiert einen Teil ihrer unterdrückten Trauer und Wut auf Samuel, unausgesprochen hängt stets im Raum, dass sie ihm eine Mitschuld an Oskars Tod gibt. Samuels Verhalten ist nun nur eine Reaktion eines Kindes, das mit der überfordernden Gefühlswelt eines Erwachsenen konfrontiert wird und auf sie mit seinen Mitteln reagiert. So ist der Babadook, der stets bemüht ist, Besitz von Amelia zu ergreifen, eine Manifestation des Gefühlsterror, dem sich Mutter und Sohn gegenseitig aussetzen. So lässt es der Film auch beispielsweise offen, ob das Buch tatsächlich zu Amelia zurückkehrt und ihr ihren Abstieg in den Wahnsinn prophezeit, oder ob dies nur in ihrem Kopf geschieht.
Das Ende ist besonders gelungen: Erst als Amelia Oskars Tod in die Augen sieht (auch hier wieder sehr buchstäblich) und sich in vollster Überzeugung zu ihrem Sohn bekennt, dann sie das Monster besiegen und es in den Keller verbannen, um ein Dasein als noch vorhandene, aber nicht mehr ständig präsente oder gar destruktive Emotion zu fristen. Amelia kann ihren Sohn annehmen, dieser spürt nun endlich Rückhalt und kann sich sicherer bewegen und der Babadook, jene Visualisierung der Trauer, hat keine Macht mehr über die Familie. „Du kannst ihn besuchen, wenn du älter bist“, sagt Amelia zu ihrem Sohn und impliziert damit, dass die Trauerarbeit nicht vorbei ist, nie vorbei sein kann, aber erst in späteren Jahren eine Rolle in Samuels Leben spielen sollte. Der Babadook wird wieder auftauchen, aber weil Amelia gelernt hat, mit ihm umzugehen wird auch Samuel nicht die massiven Probleme bekommen, die sie zu bewältigen hatte. So kehren am Ende des Films auch langsam die satteren Farben wieder zurück in ihre Welt und es wird das Leben gefeiert, anstatt sich ängstlich vor ihm zu verstecken.

Als Monsterfilm wird Der Babadook Genrefans recht wenig von dem bieten, was sie suchen. Es gibt einige sehr unheimliche Sequenzen, aber schon auf ein klares Bild der Entität muss verzichtet werden. Wer hingegen ein emotional ansprechendes, kompetent inszeniertes Psychodrama sehen möchte, dass entwaffnend ehrlich mit Gefühlen, auch mit düsteren, umgeht, dem offeriert Kent einen involvierenden Film, dessen Sujet Trauer durchaus auch auf andere emotionale Ausnahmesituationen angewendet werden kann. Der Babadook kann jeden besuchen und das Mantra des Film – „Don’t let it in!“ – ist als Plädoyer gegen emotionale Abschottung zu verstehen. Verdrängung gebiert Monster, die des Nachts durch knarzende Türen kommen und es bedarf eines emotionalen Reifungsprozess, um ihrer Herr zu werden. So ist Der Babadook letztlich ein hoffnungsfroher, lebensbejahender Film, der um die Finsternis der Existenz weiß, sich von ihrer aber nicht beherrschen lassen will. Und Amelia wird so zu einer Figur, die weitaus stärker ist, als ihr selbst bewusst sein dürfte – etwas, was wohl auf mehr Menschen zutrifft, als man generell meinen würde. You can’t get rid of the Babadook – but you can learn to cope with him.



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