Donnerstag, 29. Januar 2015

Baymax - Riesiges Robowabohu (2014)




BAYMAX – RIESIGES ROBOWABOHU
(Big Hero 6)
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 22.01.2015
Regie: Don Hall & Chris Williams

Wer den Zeiten nachhängt, in denen mehrere unabhängige Medienhäuser die Menschen mit Unterhaltung versorgten, dem dürfte der Disney-Konzern ein Dorn im Auge sein. Inzwischen hat sich der Entertainmentriese die ehemalige Konkurrenz PIXAR, die Rechte an der Weltraumoper Star Wars und den Comicriesen MARVEL einverleibt. Dies ist unter Diversitätsansprüchen natürlich nicht schön, lässt sich aber wohl kaum rückgängig machen. Zumal die McDonaldisierung der Medienwelt schon vor den Megadeals begonnen hat. Unter diesen Gesichtspunkten ist Baymax, die erste Kollaboration zwischen der Disney Trickfilmabteilung und MARVEL ein erwartbares Konglomerat aus technisch perfekter Animation und Superheldenthematik. Und bei allen Bedenken, die man haben kann, wenn man sich die wirtschaftliche Entstehungsgeschichte des Werkes ansieht, muss man auch folgendes konstatieren: nach langen Jahren der Mittelmäßigkeit hat die CGI-Abteilung Disneys auch ohne PIXARS Hilfe einen passablen Film zustande gebracht. Vergessen sind die Längen von Ralph reichts, die süßliche Bedeutungslosigkeit von Die Eiskönigin oder die seltsamen Experimente á la Himmel & Huhn. Baymax, über dessen deutschen Untertitel ich mich lieber nicht äußern möchte, erfindet keins seiner ihn vorwärts tragenden Räder neu, aber er ist so involvierend und findet vor allem eine angenehme Mischung aus Spektakel und Emotionalität, dass man nur allzu gern auf diesen Trip geht.

In der Megametropole San Franstokyo, einem kulturellen und archetektonischen Schmelztiegel aus Ost und West, verschwendet der junge Überflieger Hiro sein Zeit mit illegalen Roboterkämpfen, bis ihm sein großer Bruder Tadashi die Augen für die Möglichkeiten öffnet, sie sich ihm an der Uni und im Bereich Robotik bieten würden. Hiro entwickelt ein bahnbrechendes Projekt, dass er im Rahmen eines Auswahlverfahrens vorstellt, als ein Feuer das Leben von Tadashi und Hiros Idol Professor Callaghan fordert. Von Trauer übermannt zieht sich Hiro zurück und legt den Plan, an der Uni zu studieren trotz der steten Ermutigungen von Tadashis Kommilitonen auf Eis, bis er mit Hilfe von Baymax, einem von Tadashi entwickelten, gutmütigen Krankenpflegeroboters, dahinter kommt, dass seine Erfindung, sich durch Gedankenkraft beliebig organisierende Miniroboter, nicht wie gedacht im Feuer vernichtet wurden. Vielmehr hat ein mysteriöser Schurke mit einer Kabuki-Maske, der augenscheinlich nichts Gutes im Schilde führt, sie entwendet. Zusammen mit Baymax, der so ziemlich die einzige Interaktionsmöglichkeit mit Tadashi Andenken darstellt, macht sich Hiro daran, den Maskenträger dingfest zu machen – doch dafür braucht er Hilfe. Und wer wäre dafür besser geeignet als ein Truppe Uni-Nerds?

In punkto animierte Superheldenfilme muss Baymax hinter dem künstlerisch und inhaltlich noch etwas ambitionierteren Die Unglaublichen – The Incredibles zurückstecken, so viel sei vorweg gesagt. Dennoch kommt der Film mit einer beachtlichen Energie daher, vor allem aber mit einem konstanten Tempo und einem sicheren Händchen für die emotionale Tragweite seines zentralen Konfliktes. Denn so sehr sich Tadashi und Hiro als Brüder auch verstehen mögen, im Kern von Baymax steht ein Bruderzwist dahingehend, dass Hiro seinem Bruder Vorwürfe macht, gegangen zu sein. Diese werden nie explizit ausgesprochen, äußern sich aber in Handlungen. So ist eine der wichtigsten Szene, in denen Hiro Baymax‘ friedvolle Programmierung umgeht, nicht nur aus der oberflächlich erkennbaren Situation der Sequenz zu erklären, sondern schildert auch Hiros Wut über das sinnlose Ableben des Bruders, zu dem er sich – so die Logik der Überlebenden – entschieden hat, zumindest aber die Möglichkeit akzeptierte. Das Ende ist in dieser Kausalkette dann auch der Abschied von dem Baymax, der Tadashi verinnerlicht hat, damit Hiro dem neuen Modell unvoreingenommen begegnen kann. Tadashis Tod kann so akzeptiert werden und der neue Baymax kann, sollte es Fortsetzungen geben, als vom Geist des Schöpfers befreite Entität anfangen zu existieren. Das Motiv des Verlustes, der Trauer und auch der Wut auf den Verstorbenen wird auf geglückte Weise gleichzeitig subtil wie plakativ behandelt, funktioniert also auf unterschiedlichen Ebenen für Zuschauer jeder Altersklasse. Bei so viel Verve ist es auch verzeihlich, dass die Dramaturgie mitunter sehr nach Lehrbuch abläuft (z.B. lass nach dem Trauerfall nicht zu viel Zeit verstreichen, um möglichst viele lockernde, erheiternde Szenen nachzuschieben). Ebenfalls gelungen ist die Charakterisierung von Baymax selbst, die den Zuschauer lange im Unklaren lässt, wie autonom der Roboter wirklich agieren kann. Gerade als man Bedenken hegt, Baymax könnte einfach nur ein mechanischer Sklave sein, der jedem Wunsch seines menschlichen Gegenübers nachkommen muss, beweist er in einem verweigernden Akt seine Fähigkeit zur kleinen Rebellion, die zwar auch aus Tadashis Programmierung heraus erklärbar scheint, aber ebenso illustriert, wie lernfähig Baymax letztlich ist.

Neben dem gelungenen emotionalen Kern der Geschichte ist Baymax auch schlicht eine unterhaltsame Angelegenheit voller visueller Bonmots. Vor allem die Metropolis ist ein wahnwitziger Mix aus allen Großstädten der Welt, von den namensgebenden San Francisco und Tokyo über Dubai bis Paris. Und das alles in der umweltfreundlichen Version. Die Stilverschmelzung zwischen den Himmelrichtungen findet auch eine für einen US-Film erstaunliche selbstverständliche Entsprechung auf der ethischen Darstellungsebene. Hiro und Tadashis Eltern sind augenscheinlich asiatischer und kaukasischer Abstammung, aber der Film hält es nicht für nötig, dies auch nur ansatzweise zu thematisieren. Diese Sensibilität findet man sonst vornehmlich bei skandinavischen Kinderfilmen, die, anders als deutsche Produktionen, keine schulmeisterlichen Erklärungen für die Diversität der Spezies Mensch brauchen.
Das Figurendesign ist eine sichere Bank, aber niemand hat wohl von Disney Experimente erwartet, wie sie das Studio Laika (Die Boxtrolls) wagt. Die technische Umsetzung ist gewohnt hervorragend und wieder werden die Möglichkeiten der Computeranimation etwas weiter erforscht. Der Hyperrealismus bei gleichzeitiger Abstraktion (es ist ein Segen, dass man Verirrungen wie Final Fantasy: The Spirits Within oder Der Polarexpress wohl nun endlich hinter sich gelassen hat) eignet sich dabei besonders gut für die Superheldenthematik, kämpfen Realverfilmungen bei aller Ernsthaftigkeit doch immer mit dem albernen Momentum, wenn sich Menschen in Spandex zwängen. Und enervierende Füllmaterialsongs, wie sie noch in Die Eiskönigin gefühlt alle zwei Minuten auftauchten, sucht man hier vergeblich, lediglich der passende Immortal von Fall Out Boy ist zu hören.

Baymax ist kinetisch, hervorragend getimt (gerade im Hinblick auf den physischen Humor des titelgebenden Protagonisten), witzig und hat – um diese an sich ausgelutschte Phrase einmal mehr zu verwenden – das Herz am rechten Fleck. Gerade wegen letzterem wirkt er weniger austauschbar als beispielsweise sein unmittelbarer Vorgänger, der Gefühle eher ironisch zu brechen versuchte und erst am Ende einen befriedigenden Ton anschlug. Bei Baymax ist man durchgehend involviert. Man könnte noch eine Diskussion darüber lostreten, ob es richtig ist, den knuddeligen Baymax in eine Kampfrüstung zu stecken, doch der Film macht deutlich, dass dies einerseits nur Mittel zum Zweck ist, zum anderen eher eine negative Konnotation mit sich bringt. Der Film ist ständig in der Diskussion darüber, ob das Herunterladen von Kampfsporteinheiten auf einen Gesundheitshelfer überhaupt vertretbar ist. Zumal die Rüstung auch als Schutzschild fungiert in einer Welt, in der nicht alle dem leicht zu „verletzenden“ Baymax wohlgesonnen sind. Diese Generosität ist dem Zuschauer dieses gelungenen Spektakels vorbehalten.




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