Mittwoch, 5. März 2014

Just the Wind (2012)




JUST THE WIND
(Csak a szél)
Ungarn/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 18.07.2013
Regie: Benedek Fliegauf

Wenn sich die Regierung eines Landes dazu genötigt sieht, eine Pressemitteilung einen im Ausland erfolgreich laufenden Film betreffend zu veröffentlichen, wirft dies natürlich einige Fragen auf. In erster Linie nach dem Grund. Die rechtsgerichtete Regierung Victor Orbáns sah die Landesehre von Ungarn mit Just the Wind beschmutzt, man tue doch so viel zur Integration der Roma, die in Benedek Fliegaufs Film die Protagonisten stellen. Mal ganz abgesehen von den Nachrichten aus dem Land, die ein ganz anderes Bild zeichnen, basiert der Film zudem auch noch auf einer rassistisch motivierten Mordserie in den Jahren 2005 und 2006, in deren Zug acht Menschen ihr Leben verlieren sollten. Just the Wind entstand also nicht im luftleeren Raum. So wirkt der Disclaimer, der dem Film vorangestellt ist und aufklärt, dass es sich bei der erzählten Geschichte um Fiktion handelt, die lediglich von der Realität inspiriert wurde, auch wie eine Auflage. Ansonsten ist Just the Wind ein atmosphärisch dichter und dementsprechend gerade in seiner Zurückhaltung bemerkenswerter Film, der mit einer beschämenden Kopienanzahl von drei in den deutschen Kinos vertreten war.

Ein Tag im Leben einer Roma-Familie im ungarischen Hinterland: es ist Hochsommer, die Hitze ist schon am frühen Morgen spürbar. Mutter Mari (Katalin Toldi) bereitet dem apathischen Großvater (György Toldi) das Frühstück, dann ermahnt sie ihre Kinder, in die Schule zu gehen. Während sich die pubertierende Tochter Anna (Gyängyi Lendvai) daran hält und weit vor der Zeit das abgelegene Haus ohne fließendes Wasser im Wald verlässt, streift ihr jüngerer Bruder Rió (Lajos Sárkány) nach dem Aufstehen umher, ungeachtet der Tatsache, dass in der Nacht zuvor ganz in der Nähe eine ganze Familie ausgelöscht wurde. Unter den Roma macht sich Nervosität breit, es ist bereits der fünfte Anschlag dieser Art in der letzten Zeit. So legt sich nicht nur die Hitze auf die Gemüter der Menschen, auch dunkle Vorahnungen machen die Runde. Mari und ihre Familie sind jedoch gewillt, alle Schikanen und Strapazen auf sich zu nehmen, denn bald will der in Kanada lebende und arbeitende Vater (Gergely Kaszás) seine Familie endlich nachholen.

Benedek Fliegauf, der an vielen Rezensionsstellen und sogar auf den Filmplakaten mit seinem Spitznamen „Bence“ anstatt des Vornamens genannt wird, inszenierte vor Just the Wind das Science-Fiction-Drama Womb, das in elegischen Einstellungen nach dem Wesen der Liebe fahndete. Auch Just the Wind ist ein handwerkliches Meisterstück, nur wird niemand seine Machart mit der von Womb in Einklang bringen können. Dort dominierten lange, statische Einstellungen und das perfekt eingefangene Gefühl melancholischer Tage am Meer das Geschehen, hier herrscht die schwüle Hitze des Sommers vor, die aus jedem der weitaus weniger still stehenden Bilder fließt. Die Kamera in Just the Wind ist nervös, oft folgt sie den Figuren wie ein unheimlicher, unsichtbarer Begleiter, der ihre Gewohnheiten für einen düsteren Zweck kennenlernen will. Zoltán Lovasis Kamera ist immer nah dran an den Figuren, manchmal geradezu unangenehm nah. Mari, Anna und die anderen werden von ihr regelrecht bedrängt, die Kinematographie übernimmt die Rolle des schwarzen Wagens, der in einer Szene unheilvoll die Umgebung und den umherstreifenden Rió observiert. Die Atmosphäre, die dadurch erzeugt wird, ist meisterlich, die Art, wie Fliegauf, der auch das Produktionsdesign verantwortete, den Zuschauer die Anspannung der Figuren und die Hitze des ungarischen Sommers spüren lässt, sucht Ihresgleichen.

Hinzu kommt die immense innere Spannung. Man weiß, man erahnt, dass es in dieser von unterschwelligen Aggressionen geprägten Umgebung kein gutes Ende nehmen kann. Fliegauf inszeniert Ungarn jenseits von Budapest als Ort, der gleichermaßen Paradies und Hölle ist. Paradiesisch ist die Landschaft mit ihren Möglichkeiten, hier könnte man auch eine heitere, sehnsüchtige Coming-of-Age-Geschichte drehen. Die Hölle jedoch, das sind die Anderen. Es gibt sehr offenen und eher subtil ausgeübten Rassismus gegenüber den Roma, sei es nun der Busfahrer, der für Anna nicht an der Bushaltestelle, sondern ein paar Meter weiter anhält, damit sie laufen muss, oder Maris Chef, der ihr mit den Worten „Hier riecht es nach Aas!“ einen Ventilator ins Gesicht hält. Hinzu kommt die männlich kodifizierte Gewalt, wenn Mari von einigen Betrunkenen angemacht wird oder eine von Annas Klassenkameradinnen in der Sportumkleide überfallen wird. Diese Szene, die zunächst ohne Kontext wirkt, ist nur eins der Beispiele, wie Fliegauf die faktische Nichtexistenz der Roma in den Augen der „Mehrheitsgesellschaft“ inszeniert. Das Mädchen wird angegriffen, obwohl Anna neben ihr steht, sie ist für die Angreifer gar nicht existent. Und Anna macht auch keinerlei Versuche, ihrer Klassenkameradin zu helfen – wer glaubt schon einem Roma-Mädchen, das als erstes befragt wird, wenn etwas aus der Schule gestohlen wird? Die Familie richtet all ihre Energie auf den Umzug nach Kanada, auf den Ausbruch aus den herrschenden Verhältnissen. Fast kaum erwähnenswert, dass Mari nur jenen Sisyphosarbeiten nachgeht, die für die gesellschaftlich marginalisierten vorgesehen zu sein scheinen: Reinigungs- und Aufräumkraft.

Just the Wind ist aber so sorgfältig inszeniert, dass er auch Zwischentöne findet. Maris Vorarbeiterin schenkt ihr Kleidung und ein aus Budapest stammender Polizist ist augenscheinlich nicht wirklich auf der Seite seines Kollegen, als dieser davon redet, man solle doch nur die „nutzlosen“ Roma beseitigen und nicht jene mit Arbeit und Badezimmer im Haus. Doch sein Schweigen, als ihn der Kollege herausfordert, illustriert auch die Sprach- und Tatenlosigkeit einer Gesellschaft, in der man leicht den Hass auf ihre schwächsten Mitglieder schüren kann. Unter seiner verhältnismäßig sachlichen Oberfläche ist Just the Wind ein enorm wütender Film, der sich aber nicht um eine Erklärung des Phänomens Rassismus bemüht. Man kann nicht erklären, was sinnlos ist. So folgt man mit Fliegauf dieser Familie, die doch nur von einem besseren Leben träumt, bis zur Nacht, in der plötzliche Geräusche mit der Erklärung „Das ist nur der Wind“ abgetan werden. Allerspätestens dann weiß man, dass es niemals nur der Wind war.



1 Kommentar:

  1. Cool, danke. Habe noch nie etwas davon gehört. Kommt gleich auf meine Watchlist!

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