Freitag, 10. Januar 2014

Der Medicus (2013)




DER MEDICUS
(The Physician)
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 25.12.2013
Regie: Philipp Stölzl

Der Medicus, das Mammutwerk von Noah Gordon, erschien 1987 in Deutschland und entwickelte sich hierzulande, im Gegensatz zu seiner amerikanischen Ausgabe, zu einem gigantischen Bestseller. Inzwischen wird das Buch als eines der beliebtesten Bücher der Welt gehandelt. So ist es wenig verwunderlich, dass die erstaunlich lange hinausgezögerte Verfilmung des Buches von Deutschland aus abgewickelt wurde (unter den genannten Produktionspartnern findet sich neben den üblichen Verdächtigen der bundesdeutschen Filmförderung auch die ARD Degeto), nicht ohne mit der Besetzung internationaler Stars und einem komplett in englischer Sprache gedrehtem Werk auch auf den internationalen Markt zu schielen. Verständlich, sieht man dem Film doch an, dass er den einen oder anderen Euro gekostet hat und möglichst hohe Verkaufszahlen sollen die Einnahmen sichern. Ein guter Film ist Der Medicus allerdings nicht geworden, eher ein arg durchschnittlicher, ein mechanisches Werk, dass möglichst viele Erwartungen erfüllen möchte und am Ende viele davon enttäuscht. Dass er als Adaption eines so seitenstarken Buches wie dem von Gordon nie dessen Komplexität erreichen kann, geht noch in Ordnung. Roman und Buch sind schlicht zwei sehr unterschiedliche Medien. Weniger verzeihlich ist aber, dass Der Medicus einfach fahrig inszeniert ist.

England, Anfang des 11. Jahrhunderts: die Mutter des jungen Rob Cole (Adam Thomas Wright) stirbt an der sogenannten „Seitenkrankheit“, die sehr viel später unter „entzündeter Blinddarm“ bekannt sein sollte. Robs kleine Geschwister kommen bei einem Farmer unter, Rob muss allein zurechtkommen. Er forciert ein Zweckbündnis mit dem umherfahrenden Barber (Stellan Skarsgård), der einzigen medizinischen Versorgung, die man in den mittelalterlichen Tagen kannte. Als Erwachsener (Tom Payne) wird Rob immer wissbegieriger auf neue medizinische Fakten. Als ein jüdischer Arzt dem langsam erblindenden Barber sein Augenlicht wiederschenkt, ist Rob überzeugt, dass es noch sehr viel mehr zu lernen und erfahren gibt, als es sein Lehrmeister ihm beibringen kann. Rob erfährt vom größten lebenden Gelehrten Ibn Sina (Ben Kingsley), der im fernen Persien unterrichtet. Beseelt von der Idee, ein wahrer Medicus zu werden und den Menschen zu helfen, macht sich Rob auf den beschwerlichen Weg. Unterwegs gibt er sich als Jude aus, da die Christen unter der Herrschaft von Shah Ala ad-Daula (Olivier Martinez) vertrieben wurden. Ansonsten herrscht in seiner Stadt Isfahan eine relative Freiheit, was Religion und Wissenschaft angeht. Rob wird auf die Schule aufgenommen und beginnt seine Lehre, während sich fundamentalistische Kräfte immer weiter aufwiegeln, den gottlosem Schah zu stürzen, widerspricht die Freiheit, die man Ibn Sina und den Seinen gewährt, doch angeblich den Lehren des Koran…

Gegen politische Anfeindungen kann und muss man Der Medicus in Schutz nehmen. Wenn man ihm die Fortschreibung gängiger islamkritischer Feindbilder vorwirft, verkennt man den Kern der Geschichte. Der Medicus ist im Grunde eine recht progressive Erzählung über die Behinderungen, die Religionen auf den Weg des Fortschritts darstellen können. Die Islamisten in diesem Film legen ihre heilige Schrift derartig reaktionär aus, dass sie alles bekämpfen, was aus diesem eng gesetzten Rahmen fällt. An diesem bedauerlichen Umstand hat sich bis heute, in keiner Weltreligion, etwas geändert. Und der Film verfällt nicht einmal in simple Schwarz/Weiß-Malerei, denn auch unter dem vergleichsweise modernen Schah ist nicht alles zum Besten gestellt. Vielmehr erreicht Der Medicus eine beeindruckende Aktualität dadurch, dass er den Umstand illustriert, dass auf persischem Gebiet zivilisatorische Errungenschaften, von denen heute die Menschheit immer noch profitiert, auf sehr viel fruchtbareren Boden gefallen sind als in Europa. Dies wird in den polemischen Diskussionen der heutigen Tage gern vergessen. Wenn es eine Lehre aus Der Medicus gibt, dann die, dass Religion nie per se gut oder per se schlecht ist und es immer die Menschen sind, die die Welt formen und sich dabei das eigene Denken nicht verbieten lassen sollten. Das mag weder überraschend noch sonderlich neu sein, aber in seiner Aktualität ist es ungebrochen.

So ist das Nachdenken über Einfluss und Spielarten von Religionen im Spannungsfeld von Tradition und Moderne, auch wenn es das Denken des 21. Jahrhunderts in das 11. transplantiert und nicht unbedingt „historisch akkurat“ daherkommt, der stärkste Aspekt des Films. Ansonsten gibt es weniger Anlass zur Freude.
Der Medicus ist eine Hochglanzproduktion, alles versprüht den Charme von bis ins kleinste Detail geplanter klinischer Künstlichkeit. Der Film merzt den Zufall, das Gefühl des Echten aus. Es geht sehr viel mehr um die opulente Ausstattung als um die Emotionen, die in ihnen stattfinden. Wenn man mit den Figuren eine gerade überfallende und zerstörte Stadt betritt, wirken sogar die umgeworfenen Körbe und die herausgefallenen Äpfel wie jeder einzelne sorgsam platziert. Dementsprechend distanziert ist man von den Figuren. Tom Payne gibt die Hauptfigur und wandelt ohne Elan durch seine Szenen, während Ben Kingsley dagegen beweist, dass er jedem Film einen Funken Ehrfurcht einimpfen kann. Sein Ibn Sina ist nicht nur die unterhaltsamste, sondern auch die interessanteste Figur, in dessen innere Konflikte man gern tiefer eingetaucht wäre. Doch Regisseur Philipp Stölzl (Nordwand) verbringt lieber mehr Zeit mit dem farblosen Payne. Das Desinteresse an seiner Figur geht soweit, dass selbst eine eigenhändig durchgeführte Beschneidung keinen großen Effekt hat. Ebenso wenig funktional ist Robs Gabe, Krankheiten und daraus resultierende Begebenheiten durch eine Berührung im Vorfeld zu erahnen. Diese Superhelden-Fähigkeit ist nicht nur albern, sondern wird auch mit solch verlangsamten Bildern illustriert, dass Zack Snyder, der König dieses nervigen Stilmittels, Stolz wäre.  Der Medicus geht größtenteils zu wenig auf seine Figuren ein, alles bleibt frustrierend oberflächlich.

Verstärkt wird dies noch durch den miserablen Schnitt und die holprige Dramaturgie. Szenen werden ohne Chancen zu Leerstellen aneinander geklatscht, die Charaktere haben keine Chance zu atmen oder auch nur einen wirklichen Moment der Stille zuzulassen, weil Cutter Sven Budelmann sofort zur nächsten Szene springt – manchmal mitten in der Bewegung. Getrieben wirkt die Montage, als habe man fundamentale Angst davor, den Zuschauer auch nur für eine Sekunde zu langweilen. Dadurch erreicht man aber genau das, weil die Emotionen auch bedingt durch den Schnitt an der Oberfläche bleiben. Hinzu kommt, dass dem Film jegliches Zeitgefühl fehlt. Alles läuft glatt und in der braven Dramaturgie einer Schullektüre ab, oft wirken Ereignisse, die Wochen und Monate verschlingen, wie ein einziger Tag. Und auch dass Rob keine wirklich ernstzunehmenden Schwierigkeiten auf seiner Odyssee erfährt, ist nicht nur durch die Komprimierung der Vorlage zu erklären. Beeindruckend, wie leicht man in die Schule Ibn Sinas aufgenommen wird und wie rasant man eine völlig fremde Sprache lesen kann. Der Medicus ist sehr viel mehr an seinen Schauwerten interessiert als an sich nach wirklichen Hürden anfühlenden Begebenheiten.

Was bleibt also von dieser Romanverfilmung? Hübsche Bilder, aber ein holperiges Drehbuch? Gewiss. Ein sehr weites Spektrum an schauspielerischen Leistungen und eine nicht von der Hand zu weisenden Oberflächlichkeit? Auch das. Der Medicus ist etwas zu oft zu zufrieden mit sich selbst, zu sehr mit dem Handwerk anstatt mit der Generierung echter emotionaler Feedbacks beschäftigt, um ihn voll und ganz zu empfehlen. Dieser Film vermag es durchaus, Diskussionen zu entfachen, sei es über seinen interessanten Subtext oder nur darüber, dass er nicht ganz das liefert, was ihm wohl vorschwebte. Der Medicus ist genügsames Ausstattungskino, das etwas zu sehr darauf hofft, dass man mit Schauwerten und nur behaupteten Gefühlen bereits alles zusammen hat, um einen internationalen Hit bei der Hand zu haben.



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