Freitag, 25. Oktober 2013

Paradies: Glaube (2012)




PARADIES: GLAUBE
Österreich/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Ulrich Seidl

Der zweite Teil der Paradies-Trilogie ist technisch und in der allgemeinen Herangehensweise mit Paradies: Liebe identisch. Viele Szenen haben einen deutlichen Improvisationstouch, die Gestaltung ist schonungslos realistisch. Doch Paradies: Glaube bietet nichts, was beispielsweise mit der Stripper-Sequenz aus dem ersten Teil vergleichbar wäre, was nicht heißen soll, dass nicht auch der zweite Teil einiges an emotional fordernden Einstellungen mitbringen würde. Doch neben diesen ergeht sich der Film auch etwas zu sehr in Klischees, die auch nach der Dechiffrierung nicht interessanter werden.

Wieder geht es um eine einsame Frau, die ihre innere Leere mit einer Ersatzhandlung auszufüllen gesucht. Diesmal ist es Anna Maria (Maria Hofstätter), die Schwester der aus dem ersten Teil bekannten Teresa, die ihre Erfüllung im katholischen Glauben gefunden hat. Mit einer Marienstatue „bewaffnet“ versucht sie, Migranten zu missionieren und in Sünde lebende Österreicher zu bekehren; ihre Gebetsgruppe bittet den Herrn darum, Österreich wieder voll und ganz katholisch zu machen. Als ihr nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesene Mann Nabil (Nabil Saleh) nach einem längeren Aufenthalt in Ägypten wieder auftaucht, gerät Anna Maria in einen Konflikt mit sich und ihrem so innig geliebten Jesus…

Dass die Verehrung eines über 2000 Jahre alten Zimmermanns so manch groteske Blüte treibt, ist bekannt. Paradies: Glaube wird nicht müde, dies zu illustrieren. Anna Maria rutscht den Rosenkranz betend auf Knien durch ihre Wohnung, geißelt sich selbst, um dem hölzernen Kreuz an der Wand zu gefallen und benutzt es irgendwann auch, um zu masturbieren. Diese reichlich plakative Jesusliebe ist zwar im Kontext des Films durchaus nachzuvollziehen, als Bild aber ziemlich schal. Gemüter können dadurch immer noch erhitzt werden, auch Ulrich Seidls Film wurde mit dem Blasphemie-Vorwurf konfrontiert. Doch jenseits der religiös motivierten Empörung sind es solche Elemente, die dem geneigten Zuschauer allzu bekannt vorkommen. Das Kreuz als phallisches Symbol, die geistige Liebe zu Jesus, die so auch eine körperliche Entsprechung findet – innovativ ist das kaum, interessant auch nicht. So ist auch die von Maria Nächtens im Stadtpark beobachtete Orgie eher albern denn schockierend: Ein Dutzend Personen haben Sex in einer vom Mondlicht beschienenden Wiese und Anna Maria schaut dem Treiben mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination zu, um sich daheim schnell zu duschen und zu geißeln. Die plakativen Bilder dieser Art treten in Paradies: Glaube deutlicher und unangenehmer zutage als jene in Paradies: Liebe.

Andere vermeidliche Klischees sind durchaus stimmig. Der seine Frau bespuckende Muslim mag auf den ersten Blick beispielsweise ein furchtbares Klischeebild sein, erklärt sich aber aus der vorangegangenen Interaktion von Nabil und Anna Maria. Wenn Nabil heimkehrt, zeichnet ihn Seidl als verletzlichen, von Selbstzweifeln zerfressenden Mann, der Anna Marias Zuspruch benötigt. Da sie diese ihm aber in ihrer Bigotterie nicht geben kann und will und ihm keinerlei seelisches Feedback gibt, greift er irgendwann in seiner Verzweiflung zu den selben, in der Religion begründeten archaischen Mitteln der Interaktion wie Anna Maria. Nabil ist kein Fundamentalist oder ähnliches, aber Anna Maria bringt mit ihrer Haltung das Schlechteste in ihm zum Vorschein. So handelt Paradies: Glaube natürlich auch von der zerstörerischen Komponente der Religionen, wenn sie einen wahren Dialog zwischen Menschen nicht mehr zulassen und das eigenständige Denken mit Ge- und Verboten vernebeln. Wenn Anna Maria erkennt, dass stures Beten keine Probleme löst, hat sie in ihrer Beziehung zu Nabil bereits irreparablen Schaden angerichtet.

Paradies: Glaube verlangt ähnlich viel Geduld vom Zuschauer wie sein Vorgänger, die Payoffs sind allerdings nicht so groß. Trotz hervorragender Szenen wie Anna Marias erster Besuch bei einer Familie, ihr Streitgespräch mit einem „gottlosen“ Paar und der Konfrontation mit einer alkoholkranken Russin (Natalya Baranova) mit bisexuellen Tendenzen (hier liegen Klischeedarstellungen und superb inszenierte Konfrontationen dicht beieinander) fehlt dem Film der finale Schnips mit dem Finger. Zumal Anna Marias Weg in den Fundamentalismus nicht so tragisch daherkommt wie Teresas Weg in die rassistisch konnotierte sexuelle Ausbeutung, weil sie den Weg aktiv gewählt hat. Für jemanden, der in einer wissenschaftlichen Welt (in diesem Fall im Krankenhaus) arbeitet und daheim wie in einer Höhle magische Rituale durchführt, kann man sich als Zuschauer weniger erwärmen. Und das will etwas heißen, bot doch auch Paradies: Liebe keine Identifikationsfigur oder in irgendeiner Form positive Zwischentöne.

Streckenweise interessant, aber diesmal mit schwerer zu übersehenden Stolpersteinen ausgestattet, ist Paradies: Glaube immer noch ein durchaus sehenswertes Erlebnis für den experimentierfreudigen Kinogänger, aber als Nachfolger kann er nicht ganz an den ersten Teil anknüpfen. Es bleibt abzuwarten, wie Seidl mit Paradies: Hoffnung diese Trilogie über Einsamkeit und alltägliche, menschliche Grausamkeiten enden lassen wird.



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