Dienstag, 15. Oktober 2013

Nachtzug nach Lissabon (2013)




NACHTZUG NACH LISSABON
(Night Train to Lisbon)
Deutschland/Schweiz/Portugal 2013
Dt. Erstaufführung: 07.03.2013
Regie: Bille August

Wenn ich als Genreangabe „Literaturverfilmung“ angeben würde, würden sich dort wahrscheinlich fast alle besprochenen Filme wiederfinden. Manchmal bekommt man den Eindruck, Film als Medium benötigt geradezu eine literarische Vorlage, ob als Legitimation oder als schiere Versicherung, dass zumindest die Leser des Buches den Film ansehen werden. Beide Vorstellungen sind nicht schmeichelhaft. Nachtzug nach Lissabon basiert auf dem Roman von Pascal Mercier, auf den ich hier nicht eingehen kann, weil ich ihn nicht gelesen habe. Dennoch haftet der Verfilmung von Regisseurin Bille August und Geld aus halb Europa etwas zutiefst romanhaftes an, was nicht als Kompliment gemeint ist. Man spürt, dass das Buch der verwobenen Geschichte besser gerecht wird als die 107 Minuten Lauflänge. Als Film kommt Nachtzug nach Lissabon niemals wirklich zu einer eigenständigen Existenz.

Raimund Gregorius (Jeremy Irons) ist ein guter, aber auch ausgebrannter Lehrer in der Schweiz. Er leidet unter Schlaflosigkeit, ist geschieden und spielt morgens mit sich selbst Schach. Als er eines Morgens durch den strömenden Regen zur Arbeit geht, sieht er eine junge Frau (Sarah Bühlmann) auf einer Brücke stehen, bereit, sich in den Fluss zu stürzen. Gregorius rettet sie, nimmt sie mit in die Schule, doch schon nach kurzer Zeit macht sich die Geheimnisvolle wieder auf den Weg und vergisst dabei ihren Mantel. Entrückt folgt ihr der Lehrer, findet in ihrer Tasche ein kleines Buch des portugiesischen Autors Amadeu de Prado und eine Zugfahrkarte nach Lissabon, ausgestellt für einen in 15 Minuten abfahrenden Zug. Gregorius begibt sich zum Bahnsteig, findet die Frau nicht vor und beschließt, die Karte für sich selbst zu nutzen. Ausbrechend aus seiner Alltagsroutine macht sich Gregorius auf den Weg nach Lissabon, um den Autor des Buches zu finden, dessen Lektüre ihn unendlich fasziniert. In Portugal begibt er sich auf die Suche, die ihn näher an die Vergangenheit der Salazar-Diktatur und ihrer Akteure bringt…

Nachtzug nach Lissabon besteht aus zwei Erzählsträngen, die über die Charaktere verbunden sind. Zum einen Gregorius‘ Suche in der Gegenwart, zum anderen die Geschichte von Amadeu de Prado und seinen Mitstreitern und Gegner im Widerstand gegen die Diktatur. Beide Stränge schaffen es nicht, sich vollends zu entfalten, zu viel möchte der Film in zu kurzer Zeit unterbringen. So springt der Film von einer Ebene zur nächsten, lässt den Zuschauer trotz des ruhigen Duktus nirgends in Ruhe ankommen und verlangt ihm auch noch erstaunlich viel suspension of disbelief ab. Gregorius‘ Suche läuft schlicht zu glatt, die ihm begegnenden Akteure sind eine Spur zu bereitwillig, ihm alles, auch sehr persönliche Dinge, zu erzählen. Man darf nicht vergessen, dass Gregorius ein verhuschter Lehrer ist, kein Journalist, kein Autor, kein Regisseur, der ein anderes Interesse an der Geschichte hat als eine simple Möglichkeit, aus seinem langweiligen Alltag auszubrechen. Man kann dies damit entschuldigen, dass gerade sein privates Interesse eine Vertrauensbasis schafft, aber dieser Erklärungsansatz fällt schon etwas schwer.

Handwerklich ist Nachtzug nach Lissabon ein sehr sinnlicher Film, mit schönen Bildern und einer gewissen „visuellen Haptik“. Wenn Gregorius in dem Buch blättert, hat man das Gefühl, selbst die Seiten umzublättern und das Papier zu spüren. Sogar der recht einfache Gegensatz von Bern und Lissabon in punkto Gestaltung (Bern ist regnerisch und düster, Lissabon sonnig und einladend) funktioniert. Auch die szenenweise aufgebaute innere Spannung verleiht dem Film einen gewissen Flair, den er auf der inhaltlichen Ebene nicht erreichen kann. Immer mal wieder gibt es Anflüge von großen Kinomomenten (Amadeus Rede in der Kirche), aber insgesamt bleibt der Film verstockt. Nochmals, es besteht kein Zweifel daran, dass Merciers Roman sehr viel besser funktionieren dürfte als der ins cineastische Korsett gezwängte und nicht entsprechend aufbereitete Film.

Als europäische Koproduktion steckt Nachtzug nach Lissabon zudem voller Kuriositäten. Jeremy Irons ist gegen den Strich besetzt, was dem Film gut tut. Dann aber taucht auch noch Christopher Lee auf und man muss die ganze Zeit an Dracula und Count Dooku denken. Für die Befriedung der deutschen Geldgeber sind Martina Gedeck, August Diehl und Bruno Ganz dabei. Man merkt dem Film an, dass jeder, der etwas zur Finanzierung beisteuerte, auch künstlerisch ein Mitspracherecht haben wollte, was den Film zusätzlich unkonzentriert wirken lässt. Ich habe inzwischen erfahren, dass diese Art des aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten europäischen Films Europudding genannt wird. Ein passendes Bild: die meisten Puddings schmecken okay, sind aber in ihrer Belanglosigkeit extrem schnell wieder vergessen. Nachtzug nach Lissabon ist ein Filmpudding: hübsch anzusehen, aber durch seine beliebige Regie und die heillos überfrachtete Geschichte auch schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwunden. Immerhin, das Ende hält eine wirklich sehr schöne Szene parat. Schade, dass Momente wie dieser so vergleichsweise rar gesät sind.



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