Dienstag, 22. Oktober 2013

Der Tag wird kommen (2012)




DER TAG WIRD KOMMEN
(Le grand soir)
Frankreich/Belgien/Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 02.05.2013
Regie: Gustave de Kervern & Benoît Delépine



Mit dem Humor ist es so eine Sache. Was für den einen ein Garant für einen abendfüllenden Lachanfall ist, lässt den anderen kalt. Was der eine als grandiosen Humor tituliert, hält der andere für stumpfsinnigen Blödsinn. Ländergrenzen und –mentalitäten mögen dabei eine Rolle spielen. So hat der US-amerikanische Humor eher einen brachialen Ruf, der britische einen respektlos-anarchischen und der französische einen … bizarren. Der Tag wird kommen vom in Frankreich hochgeschätzten Duo Gustave de Kervern und Benoît Delépine (Mammuth, Louise Hires a Contract Killer) ist eine perfekte Bestätigung dieses Vorurteils. Irgendwo zwischen Helge Schneider, schwarzer Komödie und Tagtraum angesiedelt, ist Der Tag wird kommen eher eine Aneinanderreihung von mal mehr, mal weniger erfolgreichen Schrulligkeiten denn eine stringent erzählte Geschichte. Das hat einen gewissen Reiz, ist bei 90 Minuten Lauflänge aber auch mitunter etwas enervierend.

Benoît (Benoît Poelvoorde) nennt sich selbst Not und ist nach eigener Aussage der älteste Punk mit Hund in Europa. Ohne Ziel und Antrieb verbringt er seine Tage auf dem Parkplatz eines besonders hässlichen Einkaufszentrums, in dem sein Bruder Jean-Pierre (Albert Dupontel) als Matratzenverkäufer arbeitet. Dessen scheinbar geordnetes Spießerleben gerät allerdings aus den Fugen, als er nacheinander seinen Job, seine Familie und seine Hoffnung verliert. So kriecht er bei Benoît unter die Flügel und wird langsam selbst zum Punk.

Es gibt diverse schmerzlich vorhersehbare Momente in Der Tag wird kommen, aber mindestens ebenso viele Momente nahe an der Grenze zur Genialität. Besonders Brigitte Fontaine und Areski Belkacem als Elternpaar der Versagersöhne glänzen mit einem grandios apathischen Spiel und lakonisch vorgetragenen Sätzen wie „Wir wollten es euch ja sagen, als ihr 18 wurdet. Aber so richtig erwachsen geworden seid ihr ja nicht.“ Ansonsten hat der Humor auch immer einen melancholischen, fast schon offen depressiven Einschlag. Wenn ein Mann bei Jean-Pierre eine Matratze Probe liegt und ihm dann offenbart, dass er sich Notizen machen und das Objekt der Begierde dann im Internet günstiger kaufen wird, so ist diese Szene in ihrem ganzen Sein recht grotesk angelegt, aber auch von einer gewissen Bitterkeit erfüllt. Auch Jean-Pierres Nervenzusammenbruch, in dessen Verlauf er unbedarfte Passanten von den Vorzügen einer Tempur-Matratze zu überzeugen versucht, ist gleichzeitig witzig und emotional schwer durchzustehen. Oder es sei noch ein missglückter Selbstmordversuch erwähnt, der von einer Sprinkleranlage vereitelt wird. Der Tag wird kommen macht keinen Hehl daraus, dass seine Prämisse eigentlich wenig Anlass zu Freude gibt und dass der Wahnsinn, in den die Brüder zusehends abdriften, schon fast als einzig mögliche Alternative zur Monotonie des Lebens, wie es die beiden Regisseure sehen, gewertet werden muss. Das ist nicht gerade aufbauend, sorgt aber für einige gute – und vor allem lustige – Ideen.

Benoît Poelvoorde (Nichts zu verzollen, Mann beißt Hund) und der hierzulande ziemlich unbekannte Albert Dupontel haben sichtlich Spaß an ihren Looserfiguren. Poelvoorde oszilliert zwischen charmanten Versager und jener Art Punk, die der Bewegung einen schlechten Ruf verschaffen. Dupontel darf vor allem im Zuge seines Abstiegs voll aufdrehen und sich als imaginärer Westernheld generieren, der in seiner halsbrecherischen Armseligkeit nur die nächste Lachnummer auf YouTube werden kann. Und Gérard Depardieu hat einen Gastauftritt als Schamane, der aus Alkoholika die Zukunft voraussagen kann.

Der Tag wird kommen setzt ein Herz für Sinnlosigkeit voraus. Nicht nur, dass sich der Film einer Erlösung verweigert, also kein dramaturgisch konformes Ende findet, er aalt sich auch geradezu in der Vorstellung eben jener Sinnlosigkeit allen Tuns. Man mag die Erkenntnis, dass ein brennender Heuballen auch ein Kickstarter für eine Revolution sein kann, als zufriedenstellendes Ende sehen. Oder nur als weitere Vignette von dem Schlag wie wenn Benoît im Supermarkt mit einer fremden, aber offensichtlich ebenso verlorenen Seele Schnaps kaufen geht. In der Verweigerungshaltung, die Der Tag wird kommen an den Tag legt, wohnt etwas dem Punk-Sujet entsprechend anarchistisches inne. Das ist aber nur in kleineren Dosen vollends befriedigend. Am Ende können einige hervorragend witzige Sequenzen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film als solcher genauso ins Leere läuft wie die Sinnlosigkeit der Revolution, des Aufbegehrens, die er durch seine Protagonisten so anprangert.




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