Mittwoch, 23. Oktober 2013

Albert Nobbs (2011)




ALBERT NOBBS
Großbritannien/Irland/Frankreich/USA 2011
Dt. Erstaufführung: 26.09.2013
Regie: Rodrigo García

Im Irland des späten 19. Jahrhunderts ist Albert Nobbs (Glenn Close) der schweigsame, aber perfekt agierende Butler in einem der besten Hotels in Dublin. Sein bestgehütetes Geheimnis, nämlich dass er in Wahrheit eine Frau ist, droht aufgedeckt zu werden, als er sich mit dem Maler Hubert Page (Janet McTeer) kurzfristig das Zimmer teilen muss. Doch auch Hubert führt eine Doppelexistenz und nicht nur das – „er“ ist auch mit einer Frau verheiratet. Albert beginnt zu Träumen, von einem eigenen Laden, von Erfolg und bescheidenem Glück und auch von dem Zimmermädchen Helen (Mia Wasikowska), dass sich aber viel mehr für den windigen Joe (Aaron Johnson) interessiert…

Nicht nur die Prämisse von Albert Nobbs ist außergewöhnlich, ebenso ist es seine Veröffentlichungshistorie in Deutschland. Trotz dreifacher Oscarnominierung und zahlreichen weiteren Preise dauerte es etwa 1 ½ Jahre, bis er nach seiner US-Premiere auf die deutschen Leinwände kam. Gestartet mit mageren neun Kopien konnte der Film zwar eine fünfstellige Summe erwirtschaften, wurde aber nur drei Wochen später für die DVD-Auswertung freigegeben. So konnte man Albert Nobbs Ende September im Kino erleben und bereits Mitte Oktober das Erlebnis dank Home Entertainment wiederholen. Fast wirkt es so, als wolle man von Seiten des Verleihs diesen Film schnell „hinter sich bringen“, als würde man der Geschlechterbilder zu Disposition stellenden Geschichte keinen Erfolg zutrauen.

Albert Nobbs ist ein melodramatischer Film, ohne Frage. Aber er ist gleichzeitig so zurückhaltend inszeniert, dass seine Seifenoper-Elemente nicht irritieren. Dies liegt vor allem an dem Ensemble, das sich völlig in das historische Setting hineingibt. Glenn Close kämpfte Jahre darum, die zuvor als Kurzgeschichte und Theaterstück existierende Story auf die Leinwand zu bringen und ihrem Portrait von Albert Nobbs merkt man das Herzblut an, dass sie in die Rolle gesteckt hat. Neben der darstellerischen Leistung ist vor allem das Make-Up ein voller Erfolg (anders als in Filme wie beispielsweise Cloud Atlas). Man erkennt Close, akzeptiert sie aber gleichzeitig so vollkommen als verhuschtes Männlein, dass eine Szene, in der Albert in einem Kleid auf die Straße tritt, doppelt irritiert: Die Frau, die einen Mann spielt, sieht in Frauenkleidern aus wie ein verkleideter Mann. Janet McTeers Verwandlung zum Mann ist weniger gelungen, vielleicht auch, weil sich ihre Oberweite nur schwerlich verbergen lässt. Aber auch die Maske ist weniger sorgfältig, geschweige denn überzeugend. Albert Nobbs ist trotz aller soliden Darsteller, von denen noch Pauline Collins als widerliche Hotelchefin Erwähnung finden sollte, die Close umgeben, dennoch unbestreitbar ihr Film.

Sorgfältig gestaltet und ansprechend inszeniert können auch die Darsteller die Schwächen des Drehbuchs nur bedingt übertünchen. Es sind keine großen Patzer, beileibe nicht, aber sie fallen dennoch auf. Zum einen die bereits erwähnte Melodramatik, die wie ein Damoklesschwert dem Zuschauer suggeriert, dass eine Geschichte wie diese nicht gut ausgehen kann. Zum anderen der Hang zum Erklären von Dingen, die keiner Erklärung bedurft hätten. Wir erfahren nie Alberts „richtigen“ Namen und der Film tut sich damit einen Gefallen. Dennoch muss er die Gründe für die Maskerade von Nobbs und Page explizit erläutern. Dass es ökonomische Zwänge und sexuelle Gewalt als Triebfedern sind, dass kann sich jeder Zuschauer mit wenig Fantasie zusammenreimen. Durch die Erwähnung, also die Bestätigung der einfachsten Überlegungen nimmt sich der Film einiges an Potenzial, unweigerlich beginnt man über Alberst früheres Leben nachzudenken. Der Charakter wird dadurch zwar weniger mystifiziert, aber auch uninteressanter. Es ist fast so, als könne man Albert nicht Albert sein lassen, sondern seine gesellschaftliche Schizophrenie mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner erklären zu müssen. In dem Moment, in dem der Film das offensichtliche ausspricht, begibt er sich auf dramaturgisch ausgetretene Pfade, die dem sonst so konzentriert inszenierten Film nicht gut zu Gesicht stehen. Auch das Albert/Helen/Joe-Dreieck funktioniert weit weniger reibungslos als offenbar beabsichtigt.

Am Ende des Tages bleibt Albert Nobbs aber ein funktionales, nicht überkandideltes Melodram mit ambitionierten Darstellern, einer liebevollen Maske und Ausstattung und einem nicht von der Hand zu weisendem Unterhaltungswert. Allein schon deshalb, weil man einer liebenswerten Figur wie dem Titelcharakter alles Glück der Erde wünscht – und ganz nebenbei kluge Anstöße zur Geschlechterdiskussion frei Haus mitgeliefert bekommt.



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