Donnerstag, 21. März 2013

S.O.S. - Ein spannender Sommer (2008)



 

S.O.S. – EIN SPANNENDER SOMMER
(S.O.S Svartskjær)
Norwegen 2008
Dt. TV-Erstausstrahlung: 07.08.2009
Regie: Arne Lindtner Næss

Die 12jährige Noora (Amina Hegvold Sanca) lebt mit ihrer Familie an einem Fjord in Norwegen. Argwöhnisch beobachtet sie die Erwachsenen, die die Seehunde dezimieren, weil diese angeblich all die Fische aus dem Fjord fressen. Verkompliziert wird die Sache, als Noora eines Tages ein verwaistes Seehundbaby findet. Aus Angst, die Erwachsenen oder ihr Freund Ludvik (Øyvind Haugland Vaktskjold) könnten dem Tier etwas antun, hält sie ihre Entdeckung für sich. Und als ob ein kleiner Seehund nicht schon genug wäre, fischt Noora auch noch ein verdächtiges Päckchen aus dem Meer, befestigt an einer Boje: Drogen! Und die Schmuggler sind bedrohlich nah…

S.O.S. – Ein spannender Sommer ist ein Thriller für Kinder und als solcher durchaus funktional, wenn auch nicht sonderlich originell. Positiv ist auf jeden Fall hervorzuheben, dass der Film explizit als Familienfilm funktioniert, Eltern, die ihn mit ihren Kindern sehen, sich nicht knapp 90 Minuten quälen müssen. Regieurgestein Arne Lindtner Næss umschifft so manche Klischee-Klippe (auch wenn er andere bestärkt) und zeichnet vor allem die Gegenspieler der Kinder nicht als Lobotomie-geschädigte Vollidioten, sondern als legitime Bedrohung. So kann der Film auch für ein erwachsenes Publikum durchaus ein wenig Spannung aufbauen. Kinder, vor allem solche mit gemäßigtem Filmkonsum in ihrer Altersklasse, dürften sich so manches Mal on the edge of their seats aufhalten.

Während der Thriller-Aspekt des Films hervorragend funktioniert, ist der Seehund-Subplot eher durchschnittlich. Seehund Selma fungiert über weite Teile nur als plot device, als simpler Aufhänger, damit Noora die Drogen finden kann und der Film vom Tierfilm zum Thriller umschwingen kann. Das Spannungsfeld Mensch/Tier im Kontext der Fischerei wird gestreift, aber zugunsten der eigentlichen Handlung dann so weit in den Hintergrund gedrängt, bis es schlicht ganz vergessen wird. Selma kann, nachdem sie geholfen hat, den waffenbegeisterten Ludvik zu retten und ihm so endgültig die Freude am Tier, auch am angeblich schädlichen, zurückzugeben, einfach aus der Handlung verschwinden, um sich dann kurz vor dem Abspann wieder kurz ins Gedächtnis zu rufen. Unter diesem Aspekt ist S.O.S. – Ein spannender Sommer ein marginaler Etikettenschwindel: kleine Zuschauer, die ob des Plakats einen Film erwarten, der sich hauptsächlich um Noora und Selma dreht, könnten enttäuscht sein. Denn so unwiderstehlich Selma auch sein mag, den Löwenanteil nimmt der Drogenplot ein und ob dieser vom Zielpublikum goutiert wird, ist letztlich wohl Glückssache.

Zwei Dinge sollten noch erwähnt werden. Das Erstere ist eher technischer Natur. S.O.S. – Ein spannender Sommer wurde in Deutschland nicht für das Kino ausgewertet (was zu bedauern ist), sondern erschien im TV und auf DVD. Und auf eben jener DVD befindet sich nur die deutsche Synchronisation, die manchmal etwas seltsam klingt. Vor allem Noora hört sich mehr als einmal zu sehr nach Sprecherbox und weniger nach echtem Leben an. Ein Vergleich mit dem norwegischen Original, optional unterstützt durch Untertitel, kann nicht stattfinden, was in der heutigen Medienwelt eigentlich nicht mehr vorkommen sollte.
Das Zweitere ist ein Aspekt, der erst durch den Sommer 2011 auch in Norwegen an Bedeutung gewonnen haben dürfte. Denn Noora ist das Kind eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter. Dieser Umstand, dass Noora also nicht dem Klischeebild einer Norwegerin entspricht, wird aber nicht thematisiert. Es ist einfach so. Gelungener kann man Diversität kaum darstellen als mit der unaufgeregten Selbstverständlichkeit, die dieser Film in diesem Punkt an den Tag legt. Die Gesellschaft, die der Attentäter Breivik zerstören wollte, in S.O.S. – Ein spannender Sommer wird die gelebt und bedarf, wie fast jede Selbstverständlichkeit, keiner großen Worte oder Gesten. Genauso wenig wie dieser kleine, unterhaltsame Genrefilm für Kinder.




 


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Montag, 18. März 2013

Ein Jahr nach Morgen (TV) (2012)


EIN JAHR NACH MORGEN
Deutschland 2012
TV-Erstausstrahlung: 21.09.2012 (arte)
Regie: Aelrun Goette


Mit dem Jagdgewehr ihres Vaters erschießt die 16-jährige Luca (Gloria Endres de Oliveira) zwei Menschen. Ein Jahr nach der Tat ist das Motiv immer noch völlig unklar. Im Zuge der Gerichtsverhandlungen, die auch die Mitschuld der Eltern klären sollen, kreuzen sich die Wege von Lucas Eltern (Margarita Broich und Rainer Bock), ihrem vom Weltschmerz zerfressenen Freund Julius (Jannis Niewöhner) und der Familie eines der Opfer…

Aelrun Goette hat es sicher gut gemeint, sie mutet ihrem sehr nach Fernsehen aussehenden Film aber derartig viele Themen zu, dass das Projekt in dieser Form geradezu zum Scheitern verurteilt ist. Der Film möchte nicht nur nach den Ursachen für Amokläufe suchen (und bleibt dabei blass), er wirft auch noch reichlich teenage angst seitens Julius und Verweise auf (immer wieder) aktuelle Themen wie Ego-Shooter-Verbote mit in den Topf. Ambitioniert ist da alles, keine Frage, einzig an der Umsetzung und vor allem an dem uninspirierten Drehbuch scheitert Ein Jahr nach morgen.

Die Darsteller wandeln fast alle schlaftrunken durch die Szenerie, allen voran Margarita Broich, die dem Terminus ausdruckslos hier eine ganz neue Dimension verleiht. Rainer Bock als Vater sagt seine Texte auf, ohne sie mit Leben zu füllen, Jannis Niewöhner kommt nicht über die „gut gemeint“-Hürde hinweg, Maurizio Magno als Andreas ist ganz offensichtlich ein Kind, dass schauspielert. Einzig Gloria Endres de Oliveira zeigt Präsenz und macht ihre sträflich wenig genutzte Luca zur großen positiven Ausnahme in der Darstellerriege.

Ein Jahr nach morgen stolpert bei fast jedem Schritt. Die Bilder bemühen sich um Realismus und darum, die Fernsehherkunft nicht zu deutlich zu Tage treten zu lassen, während die in den Bildern aufgesagten Dialoge zu deutlich nach Drehbuch klingen. Realismus auf visueller, Unrealismus auf inhaltlicher Ebene – der Film zerreißt. Die etwas an ein Mosaik erinnernde Struktur, die die Tat nicht zeigt und nicht immer chronologisch vorgeht, kann das Interesse zumindest etwas halten, auch wenn man sich durch viel zu viel belehrendes Betroffenheits-TV-Kino kämpfen muss. Ein Jahr nach morgen hat kein wirkliches Interesse an Lösungen, Erklärungen oder auch nur stimmiger Erzählweise. Es wird einfach ein lethargischer Ist-Zustand bebildert, der viel zu wenig für einen Spielfilm hergibt, weil die Regisseurin eher den Zeigefinger erhebt und im 1x1 der Küchenpsychologie nachschlägt, als eigene Ideen zu entwickeln, die Figuren interessant zu machen oder sonst etwas. Goette möchte hinter die Fassaden blicken, den Zuschauer die Seelenzustände begreiflich machen und landet dabei doch nur in Klischees und Pathos. Julius‘ Mobber verhalten sich beispielsweise wie jeder jugendliche Film-Rowdy, nicht realistisch, sondern wie im Cartoon grotesk überzeichnet und ohne Brechungen.

Das Goette sich Klischees bedient ist erst mal nicht verwerflich. Dass sie diese aber nicht hinterfragt, aufbricht oder sonst wie mit ihnen spielt, schon. So bleibt unterm Strich nur das hypnotische Spiel von Gloria Endres de Oliveira, deren Konterfei mit Waffe nicht umsonst das Poster des Films ziert, dass Ein Jahr nach morgen zumindest für vielleicht zehn der insgesamt 90 Filmminuten interessant macht. Ansonsten bleibt der Eindruck, hier sollte ein „wichtiger“ Film gedreht werden, kein „guter“.




[KEIN TRAILER VORHANDEN]

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Schuld sind immer die Anderen (2013)




SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN
Deutschland 2012
Dt. Kinostart: 28.02.2013
Regie: Lars-Gunnar Lotz


 Der Jugendliche Benjamin Graf (Edin Hasanovic) ist wahrlich kein Sympath. Zu seinem Repertoire gehören hauptsächlich Überfälle und schwere Körperverletzungen. So hat er nicht nur einer Serviererin, die ihm nichts mehr ausschenken sollte, den Kiefer gebrochen, sondern auch eine Frau brutal zusammengetreten, nachdem er sie zur Herausgabe von 500 € genötigt hat. Doch schließlich kommt auch Bens kriminelle Karriere zum Erliegen und er findet sich im Gefängnis wieder. 

Der Sozialarbeiter Niklas (Marc Benjamin Puch) bietet ihm den Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum an und Ben nimmt widerwillig, hält er dies doch für „schwul“ und „Opferkacke“, an. Im idyllischen Waldhaus gelten strenge Regeln der gegenseitigen Kontrolle und vor allem Bens Zimmergenosse Tobi (Pit Bukowski) achtet akribisch auf deren Einhaltung.

Nach einer Phase der Eingewöhnung macht sich Ben allerdings recht gut und fügt sich in die Schicksalsgemeinschaft ein. Doch dann erscheint Niklas‘ Frau Eva (Julia Brendler) nach längerer Arbeitspause wieder und Ben erkennt die Frau, die er einst zusammengetreten hat, wieder…

Das Kinodebüt des Regisseurs Lars-Gunnar Lotz ist ein kleiner Glücksfall, was die Enttäuschung einer berechtigten Erwartungshaltung betrifft. Denn wie schnell hätte aus der Prämisse ein moralinsaurer Cocktail für das ARD-Abendprogramm werden können?! Schuld sind immer die Anderen schafft es erstaunlich souverän, die gefährlichsten Klippen zu umschiffen, um die das Drehbuch manövriert, was vor allem den hervorragenden Darstellern zu verdanken ist.

Hasanovics Benjamin ist eine wahre Naturgewalt, man spürt den Hass und die Anspannung unter seiner Oberfläche und gerade zu Beginn des Films ist man sich nie ganz sicher, was der Charakter als nächstes tun wird. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es bemerkenswert, wie gut Hasanovic den Wandel seiner Figur verkörpert, obwohl das Drehbuch gerade hier einen Schlenker macht und einen Zeitsprung einbaut, der zuviel Zeit unkommentiert überspringt. Innerhalb eines Szenenwechsels hat sich Ben eingelebt und der zweite Teil des Films beginnt. Es ist dem Nachwuchsschauspieler anzurechnen, dass dieser Wechsel zwar nicht unbemerkt, so aber relativ glimpflich vonstatten geht. Auch gelingt es Hasanovic und Julia Brendler als Eva eine durchaus stimmige Chemie zu entwickeln. Das psychische Katz-und-Maus-Spiel, das sich die beiden liefern, ist schlicht brillant, eine fast stumme Autofahrt der beiden entlang der Stätten des Überfalls ist der in allen filmischen Belangen Höhepunkt des Films. Dabei ist Schuld sind immer die Anderen kein Film der übertriebenen Gesten. Alles geht subtil und nach Möglichkeit in realistischen Bahnen vonstatten, auch wenn Lotz manchmal vom suspension of disbelief Gebrauch macht. Die Frage, ob sich Ben und Eva auch in der Realität unter solchen Umständen wieder sehen könnten, ist aber letztlich müßig, wenn nicht gar vollkommen überflüssig.

Das naturalistische Spiel kann allerdings nicht über einige Mängel hinwegtäuschen. Auch wenn der Film inhaltlich weit über einem durchschnittlichen TV-Film steht, optisch ist dies nicht der Fall. In punkto Bildgestaltung geht Schuld sind immer die Anderen keinerlei Wagnis ein, der Film sieht nicht nach großem Kino aus. Ein weiterer Pluspunkt für die Darsteller, da ihr Spiel so interessant ist, dass es die Eintönigkeit der Bilder vergessen macht. Wohingegen die Schauspieler nicht anspielen können sind Drehbuchleichen wie die Beziehung von Ben zu einer Praktikantin im Waldhaus, Mariana (Natalia Christina Rudziewicz), die nirgendwo hinführt und ohne Probleme aus dem Drehbuch gestrichen hätte werden können. Sie fungiert nicht glaubwürdig als weiterer Schritt zu Bens Resozialisierung, es kommt im Gegenteil der Verdacht auf, als wolle man dem Antagonisten des Antagonisten, dem unheimlichen Tobi, einen Vorwand geben, Ben zu hassen, auch wenn der Film bereits ohne die Einführung der Praktikantin keinen Zweifel an der aufgeladenen Stimmung zwischen den Beiden lässt. Mariana ist nur ein Vehikel, keine Figur. Sie baut ein unstimmiges „Liebes“-Dreieck auf, dass den Film mehr irritiert als das es ihm nützt.

Schuld sind immer die Anderen schafft in seinen besten Momenten das gleiche Kunststück wie Dead ManWalking – Sein letzter Gang, indem er uns mit einer von grundauf unsympathischen Figur menschlich mitfühlen lässt. Ben wächst dem Zuschauer ein Stück weit ans Herz, auch ohne dessen Zutun, ob er/sie es will oder nicht. Vor allem wertet Lotz nicht, er lässt keine der Figuren zu einer Katharsis kommen, es gibt keine groß inszenierte Konfrontation, die wie ein reinigendes Gewitter alles am Ende aus der Welt schafft. Bens Vergehen ist zu groß, als dass der Film am Ende alle Figuren nicht in der Schwebe halten könnte. Schuld sind immer die Anderen lässt den Zuschauer mit genug Gesprächsstoff und Gedankenanstößen zurück, so dass man auch die manchmal etwas holprige Inszenierung verschmerzen kann.





Donnerstag, 14. März 2013

Lore (2012)


LORE
Deutschland/Australien 2012
Dt. Kinostart: 01.11.2012
Regie: Cate Shortland

Als sich das Dritte Reich unweigerlich seinem Ende nähert und die Alliierten das Land befreien, geraten die nationalsozialistischen Eltern der jungen Lore (grandios: Saskia Rosendahl) in amerikanische Gefangenschaft und lassen ihre insgesamt fünf Sprösslinge mittellos zurück. Nachdem auch das Tafelsilber ihnen keine Nahrung mehr einbringt und die ehemals zur Oberklasse des Nazi-Regimes gehörenden Kinder die zunehmenden Antipathien der Bevölkerung spüren, machen sie sich auf eine 900 Kilometer lange Reise vom Schwarzwald zur Großmutter, die auf einer Hallig in der Nordsee lebt. Unterwegs erhalten sie unerwartete (und zunächst auch unerwünschte) Hilfe von Thomas (Kai Malina), dessen Pass und Tätowierung am Arm ihn als Juden ausweisen…
Lore ist ein Film, der keinen einfachen oder gar ausgetretenen Pfad begeht. Er verzichtet auf die Darstellung von zerstörten Städten, sucht nicht die große Inszenierung oder die Überwältigung, sondern schickt seine Figuren durch sonnige Wälder und mit Blumen übersäte Wiesen. Es ist eine schöne, romantische Szenerie, durch die die australische Regisseurin Cate Shortland Lore und ihre Geschwister schickt, doch über allem hängt stets eine Art nervöser Unruhe, die sich manchmal abrupt entlädt, um dann wieder in den verhalten-angespannten Zustand zu verfallen. Über dem Sommer 1945 hängt eine „seltsame Hitze“, wie eine Figur anmerkt und atmosphärisch passt das gut zum gesamten Film. So passt es auch, dass Kameramann Adam Arkapaw stets dicht bei den Protagonisten bleibt. Teilweise extreme Nah- und Detailaufnahmen vermitteln ein Gefühl von Nähe, zudem ist der Film nicht flächendeckend mit einem musikalischen Soundtrack unterlegt, sondern gibt Sequenzen Möglichkeit, nur durch Geräusche ihre Wirkung zu entfalten.
Auch in der Figurenzeichnung geht Lore Wagnisse ein. Rosendahls Hauptfigur steht an der Schwelle zur Pubertät, glaubt noch lange an den Endsieg und wird durch das Auftauchen von Malinas Thomas in einen Zwiespalt gebracht. Hin- und hergerissen zwischen aufkeimenden sexuellen Interesse und antisemitischer Verachtung ist die Spannung zwischen den Figuren ebenfalls eine „seltsame Hitze“, die über den Szenen flimmert. Dabei vermeidet es Shortland, die auch das Drehbuch für den Film nach dem Roman Die dunkle Kammer von Rachel Seiffert schrieb, Lore nur böse und Thomas nur gut darzustellen. Beide bleiben den Film über höchst ambivalente Figuren, deren Zweckgemeinschaft durch die Spannungen immer kurz davor steht, zu zerplatzen. Lores Verachtung wird zunehmend angekratzt, während man über Thomas nicht nur gutes berichten kann. Nicht nur nähert er sich Lore zunächst in äußerst ruppiger und eindeutiger Art, auch seine Motive, ja seine ganze Identität ist diskussionswürdig. So verschiebt sich die Zuschauerwahrnehmung stetig, sie bleibt ähnlich wie die Beziehungen der Figuren zueinander im stetigen Fluss, auch wenn dieser Fluss nicht einem wohlwollenden Meer endet.
Besonders geschickt wird auch der Grundstein für die Kultur des Schweigens nach dem Ende des Krieges gelegt. Eine Gruppe Menschen in einem Zug versichert sich gegenseitig, von nichts gewusst zu haben und dass die Alliierten die Nazi-Verbrechen aufbauschen und Lores Großmutter spricht gegen Ende des Films den programmatischen Satz: „Eure Eltern haben nichts falsch gemacht.“ Damit beginnt im Haus der Großmutter nicht nur das Schweigen über den Krieg und die Verbrechen als solche, sondern auch über die Erlebnisse der Kinder. Nicht umsonst ist bereits der Titel des Films doppeldeutig. Einerseits ist Lore die Kurzform von Hannelore, der vollständige Vorname von Rosendahls Figur, andererseits bezeichnet im Englischen lore, als Substantiv gebraucht, die Gesamtheit einer bestimmten kulturellen Erzählwelt, werden also in diesem Fall Mythen, Halbwahrheiten und Legenden über den Zweiten Weltkrieg zu lore – zu Sagen, die erst durch hartnäckiges Schweigen über die Wahrheit entstehen können.
Lore ist ein hervorragender Film, gut gespielt, toll bebildert und auf vielen Ebenen interessant und stimmig. Die einzige Frage, die offen bleibt: Warum kam dieser als Beitrag Australiens ins Rennen um den Auslandsoscar geschickte Film nicht in die engere Auswahl der Academy?





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Hotel Transsilvanien (2012)


HOTEL TRANSSILVANIEN
(Hotel Transylvania)
USA 2012
Dt. Kinostart: 25.10.2012
Regie: Genndy Tartakovsky

Wer erinnert sich noch an Van Helsing, jenen im Sommer 2004 ins Kino geworfenen Reißbrett-Blockbuster unter der Regie von Stephen Sommers, der Hugh Jackman und Kate Beckinsale gegen allerlei bekannte Monster antreten ließ, namentlich Dracula, Frankensteins Monster, den Werwolf und Dr. Jeckyll/Mr. Hyde? Je weniger es sind, desto besser, denn Van Helsing war nicht nur eine Beleidigung eines jeden Kinogängers mit seinen dummen Dialogen, schlechten Charakteren und ermüdenden Bildern, er war auch eine misslungene Hommage/Auferstehung der klassischen Monster, die vor allem in den Filmen aus den Hammer-Studios Generationen von Filmfans das Fürchten lehrten.
Nun ist es an einem Animationsfilm, ein würdigeres Gipfeltreffen der nächtlichen Alpträume auszurichten. Hotel Transsilvanien von Regisseur Genndy Tartakovsky, dem Mann hinter Cartoonserien wie Samurai Jack, Powerpuff Girls und Dexters Labor, gelingt dies zwar nicht auf bravouröse Weise, aber sein Kinoerstling mag im Story Department noch diverse Schwächen aufweisen, watet dafür aber mit vielen Details und Nuancen auf, die ihn durchaus sehenswert machen.

Um seine Tochter Mavis vor den gefährlichsten Monstern der Welt, den Menschen, zu beschützen, ließ Graf Dracula einst eine riesige Burg, umgeben von einem unheimlichen Wald, errichten. 118 Jahre später steht nicht nur das alljährliche Treffen der Ungeheuer dieser Welt in diesem Hotel Transsilvanien an, sondern auch Mavis‘ Geburtstag, mit dem sie die Vampir-Volljährigkeit erreicht. Sie will die Welt entdecken, etwas, dass ihrem übervorsichtigem Vater überhaupt nicht behagt. Als sich dann auch noch der Slacker Jonathan als erster Mensch ins Hotel verirrt und es zwischen ihm und Mavis funkt, stehen dem Grafen turbulente Zeiten ins Haus…

Die Geschichte von Hotel Transsilvanien ist mehr oder minder aus dem Bausatz. Wir haben den besorgten Vater, die freiheitsliebende Tochter, den romantischen Eindringling und alle Probleme und Konflikte, die sich daraus ergeben. So weit nicht viel Neues, allerdings entschädigt Draculas Hintergrundgeschichte etwas dafür. Mavis wird von ihm nicht aus einem diffusen Bedrohungsgefühl heraus beschützt, sondern weil Menschen seine Frau, Mavis‘ Mutter, töteten, obwohl die Vampirfamilie versuchte, normal unter Menschen zu leben (Blut trinken diese Vampire schon lange nicht mehr, sondern begnügen sich mit Ersatzstoffen wie Bionade-Blut). Dieser emotionale Ankerpunkt wird in der stärksten Sequenz des Films durch Dracula via Rückblenden erzählt und stellt einen interessanten Kontrast zum manchmal etwas überdrehten Rest des Films da. Die spürbare Bedrohung, die in den Rückblenden generiert wird, verbunden mit der melancholischen Beleuchtung der Gegenwart, in der Dracula Jonathan den Grund für sein Handeln erläutert, will auf den ersten Blick so gar nicht zu dem sonstigen Spektakel des Films passen, der sich etwas mehr an seinen eigenen Actionszenen erfreut, als ihm gut tut. Auf den zweiten Blick wird jedoch gewahr, dass Regisseur Tartakovsky hier erfolgreich Elemente in seinen Film einpflegt, die über die reine Unterhaltungsebene hinaus gehen. Die Frage nach der Natur des Monsters ist nicht neu, auch nicht dass sich das Medium Film eher für den gebeutelten Außenseiter, menschlich oder nicht, stark macht, aber dass dieses Element in einem Film wie Hotel Transsilvanien auftaucht, der sich auch für Flatulenzscherze und gepuderte Hinterteile nicht zu schade ist, erfordert ein gewisses Maß an Mut und ist vor allem inmitten des manchmal etwas zu hektisch geratenen Films eine wahre Wohltat.

Zudem ist Hotel Transsilvanien wahrscheinlich einer der ersten westlichen Animationsfilme, in dem die Existenz von Rassismus aktiv bestätigt wird. „Solange sie denken, du bist ein Monster und kein Mensch, werden sie dir nichts tun“, gibt Dracula Jonathan in einer Szene zu bedenken, woraufhin dieser nur erwidert: „Das ist aber ganz schön rassistisch!“ Die Inklusion beziehungsweise Exklusion einer Gruppe nur aufgrund der äußeren Merkmale ist zwar immer wieder ein Thema im Trickfilm und manchmal sind die Kopfbewegungen in Richtung Antifaschismus auch sehr deutlich (z.B. im Film Robots von Chris Wedge; mehr dazu in einem späteren Blogeintrag), aber Hotel Transsilvanien in der erste Animationsfilm, der dieses Problem explizit beim Namen nennt (zumindest nach meinem Kenntnisstand. Wer es besser weiß, darf mich korrigieren). Es ist nur ein kurzer Augenblick im Film und wird von den meisten Zuschauern wahrscheinlich nur als Scherz goutiert, aber dennoch ist auch dies ein Beispiel für die Details, die Hotel Transsilvanien interessant machen.

Natürlich funktioniert nicht alles in diesem Film. Wie bereits erwähnt ist der Film oftmals hektischer als er sein müsste (ich mag mir nicht ausmalen, wie verwirrend manche Sequenzen erst in der 3D-Fassung sein müssen) und die Actionsequenzen sind irgendwann ermüdend, auf der anderen Seite profitiert der Film bei der Charakteranimation eindeutig von Tartakovskys Erfahrung. Wenn Dracula zufrieden grinst und die Mundwinkel steil nach oben stehen wird nicht nur der aus dem klassischen Zeichentrickfilm bekannte Stil des Regisseurs deutlich, es zeigt auch, dass hier die Übertragung von einem Medium auf das Andere geglückt ist. Manchmal wirkt Hotel Transsilvanien in punkto Figurenbewegung wie ein alter Warner-Brothers-Cartoon und das ist wahrlich kein Nachteil. Nicht alle Figuren sind allerdings geglückt. Die Mumie Murray wird sträflich vernachlässigt und man hat das Gefühl, dass man nicht wirklich wusste, was man mit dem Charakter eigentlich anfangen wollte. Die Braut von Frankensteins Monster (nicht nur Frankenstein, aber dieser Fehler wird wohl auf Ewigkeiten immer wieder auftauchen), ein kreischendes Etwas, dass nicht nur aussieht wie Fran Drescher, sondern im Original auch noch von ihr synchronisiert wird, ist schlicht überflüssig und Griffin, der unsichtbare Mann, muss für allerlei weniger gelungene Gags herhalten. Dracula bleibt die interessanteste Figur und die Beziehung zwischen Mavis und Jonatahan ist auf ihre Art niedlich, impliziert aber auch weniger gute Assoziationen, da Mavis als Vampirin deutlich langsamer altert als der Mensch Jonathan und ihre Beziehung dadurch im Grunde von vornherein unter keinem günstigen Stern steht. Nach dem Kinobesuch musste ich erfahren, dass Filmkritiker Dustin Putman dieses Dilemma bereits gut zusammengefasst hat:

„Also problematic is the romance that arises between Mavis and Jonathan. It's not that their relationship isn't sweet in its own way (…), but director Genndy Tartakovsky grossly overlooks the logistics of a vampire who will live forever going out with a mortal human. There is no mention of Jonathan having to give up his human life to be with Mavis, nor is it ever broached that Jonathan will have died before Mavis has reached the vampiric equivalent of middle age. As the film's end paves the way for a rocking musical number and the two lovebirds swoon all over each other, the underlying fact still remains that these two kids are in for a world of hurt and heartache, and sooner rather than later. Simply put, it's emotionally dishonest.“[1]
Andererseits besiegt der Film bereits den Menschen/Monster-Rassismus auf vielfacher Basis, also besteht die Chance, dass es auch für Mavis und Jonathan eine Lösung gibt.

Hotel Transsilvanien bietet nicht die ausgefeilte Story eines PIXAR-Films noch deren technische Überlegenheit. Dieser Film ist ein oftmals überdrehter Cartoon, unterhaltsam, kurzweilig und im Grunde lohnt es sich schon nur für einen herrlichen Seitenhieb auf Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen ein Ticket zu lösen. Die Elemente, die den Film auch über Slapstick hinaus interessant machen, sind vorhanden, aber noch nicht zahlreich. Genndy Tartakovsky zeigt aber, das er in der Lage ist, diese einzubauen und wenn zukünftige Filme eine noch bessere Balance finden, darf man bereits jetzt gespannt sein.

Prometheus - Dunkle Zeichen (2012)


PROMETHEUS - DUNKLE ZEICHEN
(Prometheus)
USA/Großbritannien 2012
Dt. Kinostart: 09.08.2012
Regie: Ridley Scott

ACHTUNG! Die folgende Kritik enthält ein paar kleinere Spoiler. Wer sich ein gänzlich "reines" Filmvergnügen bewahren will, der geht erst ins Kino und schaut dann wieder hier vorbei.

Offizielle Sprachregelungen sind etwas Wunderbares. So wird Ridley Scotts Reise zu seinen filmischen Ursprüngen nicht als direkte Vorgeschichte zu seinem Kultfilm Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt vermarktet, sondern als eigenständiges Werk, das aber sehr viel Alien-DNA in sich trägt. Dass Prometheus mit ein oder zwei Fortsetzungen die Lücke zwischen den Filmen füllen könnte, wird dann nur noch im Nebensatz erwähnt.

Es stimmt, Prometheus - Dunkle Zeichen schließt nicht komplett an Alien an, zu viele Dinge passen noch nicht zusammen, zu groß sind noch die Widersprüche. Der Grundstein für eine erfolgreiche Prequel-Serie á la Star Wars (auch wenn der Vergleich nur in punkto Funktionalität angebracht ist, nicht in Hinsicht auf Intention und Qualität - Scott dreht schlicht anspruchsvollere Science-Fiction-Filme als George Lucas) ist hingegen mit Prometheus erfolgreich gelegt. Der Film ist nicht ohne Mängel und im direkten Vergleich ist Alien von 1979 immer noch das bessere Werk, aber Prometheus ist ein unterhaltsamer Film, nie langweilig, manchmal gar brillant und nimmt vor allem sein SF-erprobtes Publikum ernst. Im Gegensatz zu Scotts Zukunftsvisionen ist etwas wie Star Wars oder das neue Star Trek-Franchise nur ein besserer Kindergeburtstag.

In der letzten Woche des Jahres 2093 landet die 17-köpfige Crew des Forschungsraumschiffes Prometheus nach über zwei Jahren Flugzeit auf dem entfernten Mond LV-266, auf dem sich die Wissenschaftler Shaw (Noomi Rapace, die originale Lisbeth Salander aus Verblendung) und Holloway (Logan Marshall-Green) die Antwort auf die Frage nach dem Woher? der Menschheit erhoffen. Höhlenzeichnungen auf der Erde ließen darauf schließen, dass die Menschheit einst von Außerirdischen kreiert wurde und sie die technisch nun entwickelten Menschen mit den Zeichnungen auf den fernen Trabanten einladen. Tatsächlich landet man quasi direkt vor einer fremdartigen Pyramide, in deren Innern aber alles tot erscheint. Doch wie so oft täuscht der erste Eindruck und spätestens als einer der dümmsten Biologen der neueren Filmgeschichte seinen großen Auftritt hat, ist jedem klar, dass die Pyramide alles andere als tot ist. Und auch die Erkenntnis, dass das Wort "Einladung" im Hinblick auf die Höhlenzeichnungen vielleicht nicht allzu glücklich gewählt war, kommt zu spät…

Ridley Scott ist ein meisterhafter Bildregisseur. Von der ersten Minute an, in der die Kamera über kargen Landschaften (gedreht auf Island) schwebt bis zu dem Interieur des außerirdischen Raumschiffs, dessen H.R. Giger-Look scheinbar niemals seine Wirkung verfehlt, bietet uns Scott hervorragend komponierte Filmbilder. Selbst das 3-D-Format wird intelligent eingesetzt, um die Räume zu erweitern und zeigt wieder einmal den kolossalen Unterschied zwischen "echtem" 3-D (also Filmen wie Prometheus, die von vornherein mit 3-D-Kameras gedreht wurden) und nachträglich errechnetem 3-D auf. Einzig in der Titelsequenz stören die eingeblendeten, greifbaren Credits massiv die überwältigenden Naturbilder, aber das ist im Großen und Ganzen vernachlässigbar.
Prometheus sieht hervorragend aus; die Entscheidung, Sets zu bauen anstatt komplett auf den Computer zu vertrauen ist immer zu begrüßen. Handwerklich ist nichts zu beanstanden, inhaltlich schon.

Eine der größten Stärken der Alien-Filmreihe ist, dass dem Zuschauer die Protagonisten nicht egal sind. In Alien hat jeder von ihnen eine Persönlichkeit, die Beziehungen untereinander sind dynamisch und man will schlicht nicht, dass sie als Alien-Beute enden. Aliens - Die Rückkehr schaffte es danach, einem Trupp Soldaten, sonst gern und oft nur als austauschbares Kanonenfutter dargestellt, menschliche Gesichter zu geben. Marines durften weinen, betteln, flehen und verzweifeln im Angesicht eines unberechenbaren Feindes - ziemlich viel für einen Haufen "harter Kerle". Alien 3 watete mit einer ganzen Armada von potenziellen Figuren in Form der vom Alien tyrannisierten Strafgefangenen auf und gab hier einigen, wenn auch nicht allen, eine Persönlichkeit. Am nächsten an Prometheus ist Alien - Die Wiedergeburt mit seinen Archetypen, die im Großen und Ganzen ähnlich farblos bleiben wie die Crew auf LV-266. Allein die Anzahl - 17 (!) - ist ein unmissverständliches Zeichen: die allermeisten sind nur hier, um zu sterben. So gibt es eine Sequenz, die ohnehin eher den Anschein hat, als wäre sie nicht aus dramaturgischen Gründen geschrieben worden, in der eine ganze Gruppe von vorher nicht in Erscheinung getretenen Crewmitgliedern von einem reanimierten Geologen niedergemetzelt werden. Die Sequenz ist sinnlos und erhöht lediglich die Anzahl der verzeichneten Leichen. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob wir eine Figur wie Kane in Alien erst kennenlernen und dann mit ansehen müssen, wie etwas aus einer Brust herausbricht, oder ob vier namenlose und hinter Helmen versteckte Techniker sterben. Dermaßen inflationär bei gleichzeitiger Nicht-Charakterisierung ging noch kein Film aus dem Alien-Universum mit seinen Figuren um.

Gänzlich anders nutzt Prometheus zudem den filmischen Raum. In Alien war die Nostromo ein verwinkeltes, düsteres Gebilde, dem man ansah, dass es nicht dazu gebaut wurde, damit Menschen überall in seinem Inneren herumkriechen können; ein klaustrophobischer Albtraum. In Aliens erschien dem Zuschauer der langsam von den Aliens eingenommene Außenposten wie eine terrane Version der Nostromo und das rettende Militärraumschiff Sulaco nebst Shutteln erschien hoffnungslos unerreichbar. Auch Alien 3 und Alien - Die Wiedergeburt konnten mit ihren Settings ein Grundgefühl der Klaustrophobie bei gleichzeitiger Betonung der Größe des Handlungsortes erzeugen. Einen einfachen Ausweg, einen short cut oder gar einen Überblick gab es nie.
Das Raumschiff Prometheus wiederrum landet direkt vor der Haustür der Außerirdischen und es ist nur ein verhältnismäßig kurzer Weg mit ein paar futuristischen Landrovern, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Wir wissen stets, wo wir uns befinden (was die Figuren Fifield und Millburn nur noch weiter als bloße Werkzeuge des Drehbuchs entlarvt), selbst im Finale verlieren wir nie den Überblick und irgendwann bewegt sich Shaw so selbstsicher im Innern des außerirdischen Gefährts, als hätte sie nie etwas anderes getan. Das Design und die gekonnt inszenierte Atmosphäre im Innern des Alien-Vehikels sorgen routiniert für eine unheilvolle Stimmung, verloren gehen kann man aber nicht. Scott gibt uns eine recht einfach zu merkende Landkarte an die Hand und verschenkt dabei auch das Potenzial, zumindest das menschliche Raumschiff zu einem interessanten Ort zu machen. Optisch ein gelungener Gegensatz zur dreckigen Funktionalität der Nostromo (die „Reinheit“ der Prometheus-Mission wird im Laufe der Handlung dann auch nicht nur ideell, sondern auch bildlich besudelt, in einer der gleichzeitig intensivsten und angreifbarsten Sequenz des Films) werden die Dimensionen nur in den Anfangssequenzen offenbar, wenn Android David einsam durch das Schiff stromert und die Träume der menschlichen Besatzung im Kälteschlaf dank einer ausgeklügelten (aber auch fragwürdigen) Technik betrachtet.

Das Stichwort Androide darf natürlich in keinem Film mit Alien-DANN fehlen. In Prometheus heißt das Modell David, wird kongenial von Michael Fassbender verkörpert und bleibt bis zum Schluss ambivalenter als jedes seiner filmischen Vorgängermodelle, egal ob sinisterer Ash, heroischer Bishop oder ambitionierte Call. Wenn David zwei Jahre allein über die Prometheus streift, Shaws Träume beobachtet und nach ausgiebigen Filmstudium Peter O’Toole in seiner Lawrence von Arabien-Rolle immer perfekter imitiert, ist das gleichzeitig beunruhigend und grotesk als auch von einer schrägen Poesie.
Fassbender gelingt so die beste schauspielerische Leistung, die man in diesem Film bewundern darf. Noomi Rapace als Shaw ist ebenfalls ein interessanter Charakter, indem sie wie Ripley (Sigourney Weaver) eine starke Frauenfigur portraitieren darf, die zum ersten Mal eine spirituelle Dimension in das Alien-Universum einführt. Sicher, die Strafgefangenen in Alien 3 bekannten sich plakativ zum Glauben, aber Shaw wird als gläubige Christin vor mehr als eine metaphysische Herausforderung gestellt. Dies kann man mit Fug und Recht ebenfalls plakativ nennen (das um den Hals getragenen Kreuz nimmt mehr Deutungsraum ein, als es müsste), verweist aber auch geradezu schnippisch darauf, dass Prometheus zwar eine Erklärung für die Herkunft der Menschheit parat hält, Gott oder eine andere höhere Macht aber konsequent ausschließt bzw. sich einem religiösen Statement entzieht. Shaw wird verletzt, sowohl geistig als auch körperlich, wie ihre Spiritualität diesen Prozess überstehen wird, darauf werden wohl die Fortsetzungen mehr Auskunft geben.

Ansonsten fallen nur noch Idris Elba als Captain Janek und Charlize Theron als Meredith Vickers auf. Ersterer, weil er ganz offensichtlich viel Spaß an seiner Rolle hat und trotz der limitierten Präsenz einen Charakter umreißen kann und Zweitere, weil ihre Rolle grandios daneben geht. Das Drehbuch weiß mit Vickers nicht viel anzufangen, das Konfliktpotenzial zwischen ihr und David wird nie ausreichend ausgeschöpft und ihre Verbindung zu der von Guy Pearce in misslungenem Make-Up dargestellten Figur des Peter Weyland (Alien-Kenner horchen auf) ist derartig vorhersehbar, dass man sich fast dafür schämt, wie sehr der Film die „Enthüllung“ vorbereitet, obwohl der Zuschauer doch bereits durch schlichte Aufmerksamkeit informiert ist. Ansonsten hat Vickers nicht viel mehr zu tun, als im Hintergrund zu stehen, geheimnisvoll zu schauen und kläglich daran zu scheitern, David die Charaktereigenschaften (und Plot-Funktionen) zu stehlen. Ihr Ausscheiden aus der Handlung bekräftigt nur die Annahme, dass man nicht recht wusste, was man mit der Figur anfangen sollte.

Das hört sich nun so an, als gäbe es bei Prometheus mehr zu beanstanden als zu mögen. Dem ist zwar nicht so, aber als Vorgeschichte zu einer filmischen Ikone gerät Scotts Film natürlich unter genauere Betrachtung als der Durchschnitts-Science-Fiction. Auch wenn dem geneigten Film-Freund die Unterschiede und die fehlenden Anschlüsse im Hinblick auf Alien auffallen und das Drehbuch von Damon Lindelof (der bereits die TV-Serie Lost und den Spielfilm Cowboys & Aliens zweifelhaft in Text brachte) zwar Atmosphäre und Begebenheiten beherrscht, in punkto Dialoge aber größtenteils gnadenlos versagt, so kann man Prometheus doch attestieren, dass er sich trotz des Erwartungsdrucks hervorragend schlägt. Als eigenständiger Film ist er den Ticketpreis wert, als Mitglied im Alien-Universum (von dem an dieser Stelle die unsäglichen Alien Vs. Predator-Ausgeburten explizit ausgeschlossen werden) macht er Lust auf mehr. Wenn Ridley Scott Prometheus zu einer Prequel-Trilogie ausbaut, so hat er mit Prometheus – Dunkle Zeichen einen respektablen Start vollführt. Handwerklich atemberaubend, spannend und trotz Lindelofs Dialogen nicht dumm lässt Prometheus zwar einiges vermissen, aber gibt dafür auch einiges. Und wenn es nur zwei sinnvoll verbrachte Kinostunden sind.




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