Dienstag, 2. Februar 2016

The Hateful Eight (2015)




THE HATEFUL EIGHT
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 28.01.2016
Regie: Quentin Tarantino

ACHTUNG! Die folgende Besprechung enthält Details zum Handlungsverlauf, die einem „unbefleckten“ Filmgenuss im Wege stehen könnten.

Das Brettspiel Schiffe versenken hat es schon hinter sich, ebenso diverse Konsolenspiele wie Mortal Kombat oder Super Mario Bros.; der Klassiker Tetris noch vor sich und wann es einen Film geben wird, in dessen Credits „Basierend auf dem Spiel Monopoly“ oder ähnliches stehen wird, ist eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nun reiht sich auch Quentin Tarantino in diesen Reigen ein und präsentiert seine Verfilmung des höchst unterhaltsamen Krimispiels Cluedo. Oder so ähnlich. Denn die Dramaturgie des über 2 ½ Stunden langen Werkes (in der „Road Show“-Variante sogar über drei Stunden) erinnert doch stark an die auf dem Spielbrett stattfindende Jagd nach Hinweisen und Verdächtigen. War es der Mexikaner mit dem Revolver in der Südseite der Hütte oder der angehende Sheriff mit Gift in der Nordseite? Das „muder mystery“ ist aber nur Vorwand für eine Tarantino typische Eskapade, die sich stellenweise wie eine Ergänzung und Quasi-Fortsetzung zum letzten Film Django Unchained anfühlt. Unterhaltsam ist das Ganze unbestreitbar, technisch gewohnt virtuos, liebevoll ausgestattet und weitestgehend flott inszeniert. Es fehlt jedoch der letzte Schliff, das Novum, dass den Film von den anderen Werken des Regisseurs unterscheidet. Gerade im Hinblick auf Django wirkt The Hateful Eight ein wenig wie recycelt und auch wenn sich die beiden Streifen stilistisch und inhaltlich gut ergänzen, geht The Hateful Eight irgendwann schlicht die Puste aus. Ein nur guter anstatt grandioser Tarantino-Film ist zwar immer noch besser als die meisten anderen Filme namenhafter Regisseure, aber es schleicht sich der Gedanke ein, dass er den Western fortan meiden sollte. Es ist alles erzählt (außer vielleicht eine Rache-Geschichte eines Ureinwohners, aber das wäre dann wohl auch zu nah an Django Unchained), zumal Tarantino hier kein Genre-bending betreibt, sondern einen ziemlich gradlinigen Western inszeniert. Kein komplettes Bingo.

Einige Jahre nach dem US-Bürgerkrieg kreuzen sich die Wege von Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) und John Ruth (Kurt Russell), ihres Zeichens beide Kopfgeldjäger. Ruth hat Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) im Schlepptau, die der in der nächsten Stadt, Red Rock, an den Galgen bringen will, während der Major die Prämie für seine „erlegte Beute“ kassieren möchte. Zusammen mit dem Kutscher O.B. (James Parks) und dem ebenfalls aufgelesenen zukünftigen Sheriff von Red Rock, Chris Mannix (Walton Goggins), suchen sie Schutz vor eine herannahenden Schneesturm in „Minnies Miederwarenladen“, einer heimeligen Mischung aus Verkaufsraum und „Truck Stop“. Dort treffen sie auf Bob (Demian Bichir), der Minnies Laden in ihrer Abwesenheit führt, sowie eine weitere Gruppe Gestrandeter: den ehemaligen Südstaatengeneral Sandy Smithers (Bruce Dern), der auf der Suche nach seinem Sohn ist, der aus englischen Gefilden stammende angehende Henker von Red Rock, Oswaldo Mobray (Tim Roth in einer Rolle, die offensichtlich eigentlich für Christoph Waltz bestimmt war), sowie den schweigsamen Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der auf dem Weg zu seiner Mutter ist. Zeitnah äußert Ruth den Verdacht, dass einer der Anwesenden mit Domergue mit der Absicht unter einer Decke stecken könnte, sie zu befreien. In der zunehmend paranoiden Atmosphäre, die auch durch den schwellenden Rassismus Major Warren gegenüber nicht besser wird, entwickelt sich ein Verdacht nach dem Anderen, bis eine Entladung unvermeidlich ist …

Die Prämisse und vor allem das Setting von The Hateful Eight hätten etwas hergegeben, dass an Spannung nicht zu überbieten gewesen wäre: eine lange Variante der Eröffnungssequenz aus Inglorious Basterds oder des Dinners an Cotton Candys Tisch in Django Unchained. Menschen, um deren Verkommenheit man weiß, halten sich so lange durch schnippische Dialoge und Suggestionen in Schach, bis die Situation eskaliert, während der Zuschauer nervös auf seinem Sitz herumrutscht. Man weiß, dass etwas kommen wird, nur das Wann und Wie sind noch unsichere Parameter. Diese Verheißung löst der Film nicht ein, weil er einige Dinge beginnt, ohne sie zu beenden (die Verbindungsschnüre zwischen Abort, Hütte und Pferdestall beispielsweise, die suggestiv in Szene gesetzt werden, ohne dass ihnen danach noch eine dramaturgische Relevanz zugesprochen wird) und recht schnell zu dem Kern des Geschehens kommt. Kugeln fliegen nicht erst nach einem zweistündigen Psychoduell und ein bisschen wirkt der Film, als ob er damit nicht nur rein bildlich zu früh zum Schuss kommt.
Dieser Umstand ist insofern keine völlige Katastrophe, weil die Tarantino-typischen Dialoge diesmal einen redundanten Spin erfahren. Zu oft reden verschiedene Figuren über den gleichen Inhalt und die Ergebnisse sind zu ähnlich, als dass es als gelungenes Stilmittel durchgehen könnte. Man hört es sich immer noch weitestgehend gerne an, was der Autor seinen Protagonisten in den Mund legt, ist aber nicht so gefesselt wie bei den früheren Filmen. Auch hier gilt die Devise „gut, nicht grandios“.

Was man The Hateful Eight allerdings zugutehalten muss, ist seine süffisante Art, mit einem Genre der Vergangenheit (jeder neue Western ist eine Erwähnung wert, weil es nicht mehr so viele von ihnen gibt wie dereinst) die partielle Auflösung der Gesellschaft in der Gegenwart zu thematisieren. Unverhohlen unsubtil macht Tarantino deutlich, um was es geht: um die Gewalt in der US-amerikanischen Gesellschaft, die nach Ethnien und Klassen unterschiedlich zum Ausbruch kommt und immer noch von tiefem Misstrauen und blankem Rassismus durchzogen wird (eine Diagnose, die auch auf Deutschland und wahrscheinlich jedes andere Land der Welt ebenfalls anwendbar ist). „Der Schwarze ist erst sicher, wenn die Weißen entwaffnet sind“, lässt Jacksons Major verlauten, woraufhin der durch und durch rassistische Südstaatengeneral „Die Weißen sind sicher, wenn die Schwarzen in Angst leben“ erwidert. Eine der Kapitelüberschriften im Film lautet „Schwarzer Mann, weiße Hölle“ und die Hütte wird sehr schnell zu einem Abbild des damaligen (immer noch aktuellen?) US-Amerikas, indem man sie in einen Nord- und einen Südteil entzweit, mit klaren Fronten und politischen Ansichten.
Am eindeutigsten aber wird The Hateful Eight, wenn es darum geht, die Vorgeschichte von Daisy Domergues geplanter Befreiung zu erzählen. Domergues Komplizen bemächtigen sich Minnies Laden und töten alle Anwesenden, eine fröhliche und freundliche Mischung aus schwarzen wie weißen Menschen, in der Sympathien und auch die Liebe nicht entlang ethnischer „Grenzen“ verlaufen. Es ist ein Mini-Utopia, nicht nur für die Zeit, sondern auch für heutige (westliche) Gesellschaften, in denen Diversität etwas ist, dass von manchen Stellen als durch und durch angriffswürdig angesehen wird. Die Idylle wird von rücksichtslosen, rassistischen Mördern zerstört, die eine ihrer Führerfiguren befreien wollen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Auslöschung von Gesellschaft kann nur ihr Wiederaufbau folgen, auch bei Tarantino. Doch er wäre nicht der Regisseur, der er ist, wenn dies nicht einen ebenso gewalttätigen Ausgang hätte. Am Ende lässt sich The Hateful Eight wie eine Legitimation der Todesstrafe lesen: „Richtig miese Verbrecher muss man hängen.“ Wer Gemeinschaft zerstört, wird durch sie bestraft, notfalls auch mit dem Tode. Das ist im Kontext des Films eine nur allzu verständliche Reaktion, schließlich ist Domergue nicht wirklich eine Sympathieträgerin und Anlass für all die Grausamkeiten in Minnies Laden, bedient sie aber auch die (zweifellos primitiven) Rachegelüste des Publikums. Aber das „Geschmäckle“ wird auch nicht dadurch weniger, dass die Exekution vom Major und dem sich aus dem vorbelasteten Schatten seines Vaters emanzipierten Sheriff durchgeführt wird. Schwarz und Weiß arbeiten zusammen, um das Böse zu stoppen. Ein schönes Topos, allerdings auch noch pointierter in Django Unchained durchexerziert. Staatliche Gewalt, die The Hateful Eight durchaus als legitimiert ansieht, unterliegt so auch einer gewissen Willkür, einem „grundamerikanischen“ Gedanken von der Rechtmäßigkeit, in der Exekutive das Ableben von anderen Menschen anzuordnen. Will man als Zuschauer, dass Domergue aus der Hütte entkommt? Wohl kaum. Aber die Art, wie mit dem finalen Dilemma umgegangen wird – auch wenn es ebenso für die restlichen Figuren kein Happy End bei bester Gesundheit bedeutet – hinterlässt doch Kratzer. Die alternative Geschichtsschreibung der vorangegangenen Filme wird durch eine Empfehlung ersetzt, Feuer auf jeden Fall mit Feuer zu bekämpfen. Gerade als Follow-Up zu Django ist das eine Herangehensweise, die es sich etwas zu einfach macht. Und damit sind auch gar nicht die Gewaltanwendungen an sich gemeint, denn dieser Diskurs („Ist die Gewalt zum Selbtszweck verkommen?“) wird bei jedem Tarantino-Film von neuem aufgezogen.

The Hateful Eight, eine Zitatemaschine und übliche Meta-Angelegenheit (schon allein, weil es nicht acht, sondern neun Personen sind, die zusammentreffen – einerseits ein Verweis auf John Fords Höllenritt nach Santa Fé, andererseits, in Anspielung auf die Tagline „Der achte Film von Quentin Tarantino“, eine Kopfbewegung in Richtung Kill Bill, der ja eigentlich aus zwei Filmen besteht) ist sicher nicht Tarantinos bester Film, zu sehr wiederholt er sich in den Dialogen, zu löcherig kommt die Katharsis daher. Es ist immer noch ein Film, der trotz der enormen Laufzeit nicht langweilt (obwohl man ohne Probleme die Schere hie und da hätte ansetzen können), ein spielfreudiges Ensemble vereint und technisch auf einem so hohem Niveau ist, dass man schon allein deshalb mitunter diebisch grinsen muss. Ob der Appell, die Gesellschaft nicht durch Hass zerfressen zu lassen, ankommt, wird wohl die Zeit verneinen müssen. Am Ende des Tages ist es ein Western, der auf seltsame Weise einen lakonischen Pessimismus mit einem kleinen, aber aufrichtigen Maß Optimismus mixt. Als Film „nur“ im oberen Mittelfeld, wird er dennoch Diskussionen, nicht nur unter Filmfans, anregen, über deren Ausgang, wie gesagt, nur spekuliert werden kann. The Hateful Eight hassen, was das Zeug hält und es ist an uns, ob wir uns ihrem Hass ergeben oder wir versuchen, ihm zu widerstehen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen