Sonntag, 13. Dezember 2015

Der General (1926)




DER GENERAL
(The General)
USA 1926
Dt. Erstaufführung: 04.04.1927
Regie: Buster Keaton und Clyde Bruckman

Diese Besprechung ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Annika von Die Filme, die ich rief gewünscht.

Die moderne (westliche) Filmwelt gibt vor, nur das Neue zu wollen, ihm zu huldigen und in seinem Optimierungswahn ja auch nur den Willen des Publikums zu befriedigen. Internetkommentare geben dieser Auffassung (scheinbar) Recht, wenn Filme, die keine 15 Jahre alt sind als antiquiert bezeichnet werden oder sich das Wissen um die Originale zu der Flut der Remakes und Reboots bestenfalls in Grenzen hält. Dabei war die Dichte genuiner Stoffe wohl noch nie so gering wie momentan, gerade Hollywood kannibalisiert sich zusehends. Filme werden neu aufgelegt, oft ohne tiefere (Er-)Kenntnis der Vorlage, nur, um vom bekannten Namen zu profitieren. Und wenn etwas nicht von vornherein als epischer Mehrteiler angelegt ist, glitzern die Augen der Marketingstrategen gar nicht so schön. Inmitten all des kreativen Ausverkaufs wird man vor allem der Unehrlichkeit gewahr, denn hinter der ständigen Neuauflage steckt, zumindest zum Teil, auch der Wunsch nach dem Erzählen zeitloser Geschichten – und daran ist rein gar nichts auszusetzen. Es ist keine tiefschürfende Erkenntnis, dass Geschichten und Figuren immer wieder vorkommen, in allen medialen Inkarnationen, weil sie den Menschen etwas Elementares erzählen – und wenn es nur das Nachkommen des Wunsches ist, rasant unterhalten zu werden. Redet man von den besten Actionfilmen, werden einige Titel immer wieder, meist zu Recht, genannt: Stirb langsam, Speed, Die sieben Samurai, Aliens – Die Rückkehr, Mad Max – Der Vollstrecker und seit 2015 auch Mad Max: Fury Road. Buster Keatons 1926 entstandener Stummfilm Der General gehört nun definitiv auch in diese Reihe und sollte sich ein Regisseur dazu berufen fühlen, einen ähnlichen Film zu drehen, dann doch bitte eine Hommage und kein Remake, dass letztlich nur vom Namen profitieren möchte. Denn wer käme schon auf die Idee, Keaton beerben zu wollen?

Während des amerikanischen Bürgerkriegs stehlen abtrünnige Südstaatler die Lok „Der General“, um damit die Versorgungswege zu kappen und dem Norden so einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Doch sie haben nicht mit Lokführer Johnny (Buster Keaton) gerechnet, der den Diebstahl seiner ersten großen Liebe [die zweite wäre Annabelle Lee (Marion Mack)] nicht tatenlos hinnehmen kann und die Verfolgung aufnimmt. Es entbrennt eine Verfolgungsjagd hinein in den Norden und wieder zurück, von einer vertrackten Situation in die Nächste.

Kinetik war und ist bis heute das Zauberwort, wenn man von Actionfilmen redet. Es liegt in der Natur der Sache, den Zuschauer mitreißen zu wollen. Vergleicht man Der General mit den modernen Ablegern des Genres (und ich denke hier an die generischen Vertreter wie z. B. die Transporter-Filme) wirkt er geradezu statisch. Die Einstellungen kommen ohne einen Schnitt alle fünf Sekunden aus, es gibt Orientierung im Raum, die Inszenierung legt keinen Wert auf audiovisuelle Verwirrung. Kurz gesagt, es ist eine Wohltat. Und es ist, 89 Jahre nach seiner Entstehung, immer noch höchst unterhaltsam, was Keaton hier präsentiert. Angereichert mit zeitlosem Humor, dessen Slapstick nicht so exzessiv wie der von Laurel und Hardy daherkommt und daher, gerade in diesem Setting, besser wirkt, ist der Film so sehr auf die Verfolgungsjagden der Loks „General“ und „Texas“ zugeschnitten, dass er sogar mit einem gewissen Leerlauf zu kämpfen hat, wenn Johnny mal nicht auf Schienen unterwegs ist. Beeindruckend an den Actionsequenzen ist neben ihrer Kreativität und dem begnadeten Timing natürlich auch ihre Natürlichkeit. Egal, ob sich die Lok gemächlich durch die Landschaft bewegt, Keaton bei der Ausübung seiner Kunst während er Fahrt auf oder vor dem Gefährt zu beobachten hat einen ganz eigenen Charme, dem man sich schwerlich entziehen kann.

So ist Der General ein sehr unterhaltsamer Actionfilm, der leider einen leicht bitteren Nebengeschmack hat, weil er seine politischen Implikationen ziemlich sorglos einsetzt (auch so eine Parallele zum modernen Genrekino). Es wird eifrig am Mythos des „großen Südens“ gearbeitet, dessen Ehre (und damit Lebensweise) verteidigt werden muss. De facto zieht der tollpatschig-sympathische Johnny also für ein System ins Feld, dass an der Sklaverei nichts Verwerfliches findet. Der General ordnet nichts ein, für ihn sind die Fronten klar. Das mag man als Blick des 21. Jahrhunderts auf das Jahr 1926 abtun, sollte aber nicht vergessen, dass nur wenige Jahre später Chaplin Der große Diktator vorlegen sollte. Zumal es albern ist, der Vergangenheit kein politisches Verständnis/Gewissen zuzugestehen. Wohlwollend ist Der General ein Genrefilm, der sein historisches Setting etwas zu unbekümmert nutzt und sich immer darauf zurückziehen kann, doch nur die wahre Geschichte des Lokomotivenraubs während des Krieges erzählen zu wollen. Dass Keatons Johnny im Zweifelsfall ein Befürworter der Sklaverei ist, gibt dem Ganzen dennoch eine unangenehme Note.

Wenn man über den politischen Subtext hinwegsehen kann und Der General als filmhistorisch bedeutsamen Beitrag zum Kino wahrnimmt, so funktioniert das Werk, das als Keatons persönlichster Film gehandelt wird, nach wie vor bemerkenswert gut. Rasant, witzig, einfallsreich und sorgfältig inszeniert gehört Der General definitiv zu den großen Actionfilmen. Wer sich von den Labels Stummfilm und schwarz/weiß abschrecken lässt, der beraubt sich selbst einer lohnenden Filmerfahrung. Wäre der Film in punkto Politik ebenso sorgfältig vorgegangen wie bei der Inszenierung des Lok-Eskapaden, Der General wäre noch ein Stück besser geworden. Wobei man sich dies während der Verfolgungsjagden kaum vorstellen kann.





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