Samstag, 30. Mai 2015

Mad Max: Fury Road (2015)




MAD MAX: FURY ROAD
USA/Australien 2015
Dt. Erstaufführung: 14.05.2015
Regie: George Miller

Mit Actionfilmen ist es so eine Sache. Das Genre, das sich ganz der Kinetik verschrieben hat, produziert deshalb so viel Ausschuss, weil sich oft zu sehr auf die Hauptattraktion konzentriert wird. Das mag paradox klingen, einem Actionfilm seine Action vorzuwerfen, aber gerade Filme wie die Transformers-Reihe zeigen, dass zu einem organischen Ganzen mehr gehört als nur ein Haufen Pyrotechnik. Dementsprechend sind die immer wieder zitierten Genrebeiträge den auch nicht gerade Legion: Stirb langsam ist dabei, weil er den Helden inmitten des Spektakels immer wieder an seine Menschlichkeit erinnert, Speed, weil er den Rausch der Geschwindigkeit erfahrbar macht und darüber hinaus die Businsassen nicht aus den Augen verliert. James Cameron ist ein Meister des Actionfilms, der über das Abfeuern eines Feuerwerks hinausgeht, vor allem Terminator 2 – Tag der Abrechnung und Aliens – Die Rückkehr sind in Erinnerung geblieben, weil auch ihnen die Figuren und ihre Situationen nicht egal sind. Michael Bay und seine Roboter aus dem Weltall scheren sich nicht darum, auch nicht um kohärente Actionszenen, und genau da liegt der Kern des Problems. George Miller erweist sich nun, 30 Jahre nach dem letzten Beitrag zu seiner Mad Max-Reihe, als Anti-Michael-Bay: er inszeniert ein Spektakel, das seinesgleichen sucht, einen Film, der sich auf eine Art bewegt, die man schon fast nicht mehr für möglich gehalten hatte – und er verliert den menschlichen Kern trotz der Non-Stop-Action ebenfalls nie aus den Augen. Die Schauspieler rasen in Höllenmaschinen durch die Wüste, Autos überschlagen sich, Tankzüge explodieren, Motorräder wirbeln durch die Luft – und das alles im Dienste einer minimalistischen Geschichte über Empowerment, Aufbrechen von Abhängigkeiten und einen Diktatursturz.

Fury Road fungiert als Fortsetzung, die irgendwo zwischen Der Vollstrecker und Jenseits der Donnerkuppel angesiedelt ist, und Reboot, indem er Max eine andere Familienkonstellation gibt und ihn in Visionen auch noch Menschen jenseits seiner Tochter/Ehefrau anklagen. Was genau passiert ist? Darüber schweigt sich der Film weitestgehend aus (Aufhänger für ein Sequel?), reicht aber als Ansatzpunkt für einen Antihelden, der nie ein Mann der vielen Worte war. Der Film ist sich bewusst, dass er nicht gerade ein Aushängeschild für Neu- und Quereinsteiger ist, sondern auf einem zumindest rudimentären Wissen um die originale Trilogie aufbaut. Der Prolog aus Teil Zwei wird weiter minimiert auf ein paar Nachrichten-Soundclips, die das Ende der bekannten Zivilisation postulieren und in einen Monolog von Max übergehen. Was danach folgt, ist gleichzeitig schnell erzählt und ziemlich stimmig: Max (Tom Hardy) wird von den Schergen des Wüstendiktators Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) gefangen genommen und als lebender Blutbeutel für einen der gehirngewaschenen Warboys, der Handlangerelite, missbraucht. Kurz darauf setzt sich Furiosa (Charlize Theron), ihres Zeichen Mitglied der Führungsebene in Immortans schrägem Reich, mit einem Tanklaster ab. An Bord: Fünf von Joes Sexsklavinnen, die als Brutmaschinen für möglichst perfekten männlichen Nachwuchs herhalten sollten. Es beginnt eine Verfolgungsjagd quer durch die Wüste, der Max zunächst als „Blutspender für unterwegs“ beiwohnen muss, sich nach seiner Befreiung aber (zunächst typisch widerwillig) den Frauen auf ihrer Flucht anschließt. Immortan Joe und seine Gefolgschaft sind ihnen allerdings stets dicht auf den Fersen und die Jagd wird zu einem Wettlauf auf Leben und Tod.

Fury Road ist wie sein widerwilliger, oftmals grunzender Protagonist kein Film der vielen Worte, keine Frage. Doch er beweist, dass Film als Medium eben auch sehr viel über die Bilder transportieren kann, ohne dass alles noch einmal verbal ausgearbeitet werden muss. Die Kamera schwenkt über Sets, Charaktere durchqueren sie teilweise nur sekundenlang und dennoch liefern sie ein stimmiges Bild dieser Welt am Abgrund. So wird erzählt, wie sich die Menschen in der Zitadelle genannten Enklave Immortan Joes ernähren, er hält sein Fußvolk mit Wasser gefügig und redet ihnen ein, dass es wie eine Droge wäre, von der man nicht zu viel konsumieren dürfte und dann wäre da noch die Sache mit dem Treibstoff. Die ersten beiden Teile der Trilogie handelten noch von der Ölknappheit und wie die Jagd nach Sprit der alles entscheidende Faktor bei der Motivation vieler Figuren war. Jenseits der Donnerkuppel hatte den Zenit dementsprechend schon überschritten. Fury Road widmet sich (endlich, möchte man hinzufügen), einem elementareren Bedürfnis, dem Wasser. Das kühle Nass ist hier das Objekt der Begierde, denn den Treibstoff bezieht Immortans Reich auf einer nahegelegenen Raffinerie, die einmal am Horizont auftaucht. So mangelt es nicht an Benzin für die Unmengen an Fahrzeugen, die Joe in die Wüste folgen und fürs Auftanken fährt ein entsprechender Tanker mit (der natürlich irgendwann spektakulär in die Luft gehen darf). Das alles wird nicht durch Dialoge ausgewalzt, Miller folgt dem Prinzip des „show don’t tell“ und setzt darauf, dass sein Publikum trotz all der halsbrecherischen Action sein Hirn nicht komplett ausstellt. Es bedarf keiner Mumbo-Jumbo-Erklärungen, die innere Logik des Ganzen hält Fury Road zur Genüge aufrecht.

Dies ist besonders löblich im Hinblick darauf, dass der Film selbstredend auch gern mit seiner technischen Machbarkeit angibt. Auch hier liegt der Unterschied darin, dass Fury Road sich sehr viel mehr auf analoge, also handgemachte Sequenzen verlässt als auf eine Orgie der Computeranimation. Es gibt die Bilder aus dem Rechner, aber man hat nie das Gefühl, dass sie die Oberhand gewinnen. Ein Film wie dieser ist unmittelbarer, wenn echte Autos zu Schrott gefahren werden anstatt wenn zwei CGI-Modelle aufeinanderprallen. So steht der vierte Teil wirklich in der Tradition von Max‘ internationalem Durchbruch, Der Vollstrecker, weil auch dessen oktangeladenes Finale zu den definierenden Momenten des Genres gehört. Fury Road definiert den modernen Actionfilm dahingehend, dass ein Genrefilm seine Hauptattraktion auch in Zeiten des digitalen Overkills kohärent inszenieren kann. Der Zuschauer verliert schlicht nicht die Orientierung im Spektakel und damit das Interesse. Der Verweis auf die ermüdende Roboter-Action des eingangs erwähnten Franchise ist da fast schon Pflicht. Fury Road ist Adrenalin, das die Leinwand füllt und zwei Stunden nicht abklingt.

Und schließlich ist Fury Road auch noch ein Film, der sich, auch das nicht zwingend genretypisch, für gesellschaftliche Fragen interessiert. Über den Aspekt des female empowerment, der dadurch Form gewinnt, dass weder Furiosa (wie auch, mit solch einem Namen) noch die befreiten Sklavinnen zu passiven Opfern degradiert werden, wurde bereits viel geschrieben und theoretisiert, über den unsäglichen Aufruf von sogenannten Männerrechtlern, die ob der starken Frauenfiguren zum Boykott aufriefen, will man indes gar nicht mehr sprechen. Neben diesem Baustein, um den sich de facto der ganze Film aufbaut und der wie eine stimmigere Version des Kinderklans aus Jenseits der Donnerkuppel daherkommt (Max profitiert von der Zusammenarbeit mit den Frauen dahingehend, dass sie ihn wieder einmal vor dem Wahnsinn rettet und ihn zu einer Erlöserfigur macht, auch wenn er hier viel mehr sich selbst erlöst als irgendjemand anderen), kommt man nicht umhin, aktuelle politische Bezüge in Immortan Joe und seinen Warboys zu erkennen. Joe inszeniert sich als strenger, aber gerechter weltlicher Führer, der zudem den Schlüssel zum jenseitigen Paradies kennt. Es ist ein hübsch-absurder Schachzug, wenn die Antagonisten inmitten der flirrenden Wüste vom Einzug nach Walhalla fantasieren, der nur weiter das groteske herausarbeitet, dass in der blinden Gefolgschaft zugunsten einer vermeintlichen Belohnung im nächsten Leben liegt. So hält Joe seine auch sonst nicht gerade vom Leben gesegneten Warboys (Leukämie könnte einer Erklärung sein, warum sie Bluttransfusionen brauchen) auf Linie, die ihm mit blind vertrauen. In einer Zeit, in der junge Menschen sich zu Hauf gemeingefährlichen Rattenfängern anschließen, um für sie zur Verteidigung zweifelhafter Werte in den Krieg zu ziehen wünscht man sich mehr Warboys wie Nux (Nicholas Hoult), der seine Ideale im Zuge der Handlung zu überdenken beginnt. Am Ende kann auch in der Welt von Mad Max nur der Diktatorsturz stehen.

Schlussendlich ist Mad Max: Fury Road die Art Sommerblockbuster, von der man träumt, wenn man wieder einen schlechten Vertreter dieser Spezies gesehen hat. Er rast im wahrsten Sinne dahin, präsentiert Action, die Ihresgleichen sucht und weigert sich zudem beharrlich, sich einer Lobotomie hinzugeben. Denn in den Händen eines fähigen Regisseurs wie Miller, der auch mit Happy Feet die Menschen mit tanzenden Pinguinen ins Kino lockte, um ihnen dort eine sehr viel größere Geschichte über globale Verantwortung und Interspezies-Kommunikation zu präsentieren, ist ein Typ mit einer Gitarre, die gleichzeitig ein Flammenwerfer ist, eben nicht nur das. Vielmehr ist er mit einem fordernden Phallus ausgestatteter Teil einer diktatorischen Gigantomanie, die die Vertreter einer auf Humanität und Solidarität aufbauenden neuen Ordnung durch die Wüste jagt. Der Phallus geht natürlich mit der größten möglichen Zerstörung zu Grunde und die Welt kann nach der Apokalypse zumindest im Kleinen beginnen, nicht wieder die Fehler der machthungrigen Vorangegangenen zu begehen. Und auch wenn man von all diesen Interpretationen nichts halten mag: Fury Road ist eben auch pure Kinetik und höchst unterhaltsames Genrekino. Zusammen mit der Tatsache, dass er sein Publikum nicht für dumm verkauft ist er ein Blockbuster der allerbesten Sorte.



2 Kommentare:

  1. Ein bißchen verwirrend ist es schon, dass der titelgebende Actionheld eigentlich nur die zweite Geige spielt. Auf der anderen Seite - aus frauenrechtlicher Sicht - ist diese Taktik vielleicht gar nicht mal so schlecht. Es heißt doch immer, Filme würden immer nur aus der Männersicht gedreht. Und wenn sich die "gestandenen Männer" mal mit einer starken Frau identifizieren müssen, dann finde ich das gar nicht mal schlecht.

    Hier meine ausführliche Review: https://filmkompass.wordpress.com/2015/06/05/mad-max-fury-road-o-2015/

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  2. Was mir besonders gefallen hat: George Miller hat nicht nur in die Vollen gegriffen, er hat auch Liebe zum Detail walten lassen. Alle Special Effects wirken nicht „special“, sondern schmutzig-punkig im allgemeinen Dreck und Staub verankert. Kein „Schaut-mal-jetzt-kommt-was-besonderes“ sondern zeigen, was ab ist (zum Beispiel Charlize Therons Arm).

    Mehr zum Film unter: http://friendly101.blogspot.de/2015/09/mad-max-fury-road.html

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