Montag, 30. Juni 2014

Otto - Der Katastrofenfilm (2000)




OTTO – DER KATASTROFENFILM
Deutschland 2000
Dt. Erstaufführung: 23.03.2000
Regie: Edzard Onneken

Acht Jahre nach dem bisherigen Tiefpunkt im Kino-Oeuvre des ostfriesischen Komikers Otto Waalkes, Otto – Der Liebesfilm, erachtete man augenscheinlich die Zeit als reif, ihn wieder auf die große Leinwand loszulassen. In der Zwischenzeit arbeitete er an der genügsamen Zeichentrickserie Die Ottifanten, die auf seinen Cartoon-Kreationen basierte, und an der sicherlich handwerklich nervenzerrenden, letztlich aber auch sehr durchwachsenen Otto – Die Serie, die ihn durchaus aufwendig in diverse Szenen aus den beliebten Edgar-Wallace-Filmen hineinkopierte, die dadurch eine ganz im Waalkes’schen Sinne neue Bedeutung bekamen. Vielleicht ist hier, in der technischen Virtuosität der TV-Serie, die Existenzerklärung für Otto – Der Katastrofenfilm zu suchen. Denn der fünfte Kinofilm des „Blödelbarden“ ist vor allem eine Leistungsschau des technisch machbaren, man schwelgt in den Möglichkeiten, die die sich rasant entwickelnde Tricktechnik in der Post-Jurassic Park/Toy Story-Landschaft bietet. Der Plot ist das üblich wackelige Konstrukt, das Otto ohnehin immer nur als Vorwand für eine Reihe von Sketchen bot. Diese sind hier aber nun derartig ausgelutscht und recycelt, dass es keine Freude mehr macht; vor allem aus dem besten Teil der Reihe, Otto – Der neue Film, wird so viel übernommen, dass man sich einem ständigen Déjà-Vu ausgesetzt sieht. An Otto – Der Katastrofenfilm ist nicht nur die Schreibweise von „Katastrophe“ eine solche.

Otto (Waalkes), den nach dem Tod seines Adoptiv-Großvaters (Waalkes) nichts mehr in Friesland hält, reist (wieder einmal) in die große weite Welt hinaus, um den letzten Wunsch seines Erziehungsberechtigten zu erfüllen: einmal die „Queen Henry“, den Stolz der Seefahrt, zu steuern. So schmuggelt sich Otto nach missglückter Leichtmatrosenprüfung als Mitglied der „Old Speis Görls“ an Bord, ohne zu wissen, dass an Bord sich nicht nur ein Attentäter und nach ihm fahndende Agenten befinden, sondern auch die Liebe seines Lebens (Eva Hassmann) sowie ein Pinguin namens Max…

Ich persönlich verbinde eine durchaus schöne Erinnerung mit Otto – Der Katastrofenfilm. Den Trailer, der sich zunächst als apokalyptischer Actionthriller generiert, bis dann Otto ins Film hampelt, habe ich im Kino gesehen und es war ein Erlebnis, ein Auditorium von vielleicht 700 Leuten ob diesen Ereignisses kollektiv aufstöhnen zu hören. Viele haben den Film angesichts der Besucherzahlen wohl dann nicht gesehen, die Marke Otto aber hat sich als so etabliert erwiesen, dass das Kalkül aufging, gerade wegen der Reaktion zwischen leidlichem Lachen und wohlwollendem Augenrollen.

Das Problem ist, dass sich der Film einer Weiterentwicklung jenseits der Technik konstant verweigert. Waalkes‘ Witze sind inzwischen so altbekannt, dass sie außer bei einem ganz jungen Publikum, dass den Komiker erst entdeckt, kaum auf Resonanz stoßen dürften. Natürlich darf man fragen: Will man das Neue überhaupt? Otto ist eben Otto, wer ihn sich ansieht, der weiß, was er bekommt. Also keine Experimente? Das ist nicht nur für das Publikum, sondern auch für Waalkes als Künstler enttäuschend. So ist die „Origin Story“ von Otto, die sich diesmal eines leicht gruseligen künstlichen Babys bedient, auf das Waalkes‘ Gesicht digital kopiert wurde, nur eine ausgeschmücktere Version dessen, was man schon im ersten Film von 1985 gesehen hat. Dazu kommt eine Variante des Gummiband-Gags aus Otto – Der Außerfriesische, ein direkt aus Otto – Der neue Film entlehnte Spiel mit den Erwartungshaltungen in bestimmten Szenen und mäßige Parodien. „Old Speis Görls“? Selten so gelacht. Und die Figur des schmierigen Käpitäns, die durch Reiner Schöne immerhin das auditive Element der vorherigen Filme fortführt (Schöne ist die deutsche Synchronstimme von Willem Dafoe), ist der generische Gegenspieler zum Mann-Kind Otto.

Wie gesagt, man mag anführen, ob die Kritik am Wiederholungscharakter nicht ins Leere läuft, weil er das erfüllt, was man von Otto erwartet. Seine Bühnenprogramme sind auch noch ein einschlägiges Geschäft, obwohl sich auch hier die Innovationen deutlich im Zaum halten. Doch wenn man lediglich die Technik updatet, muss man sich auch die Sinnfrage gefallen lassen. Denn durch einen lustlosen Film wie diesen hält sich Waalkes nicht positiv im Gedächtnis, sondern als Wiederverwerter, als Kind einer anderen Zeit, das sich im cineastischen Kaufhaus der Moderne an allen Ecken bedient, ohne so recht zu wissen, was man mit den Komponenten anfangen soll.

So ist Otto – Der Katastrofenfilm in erster Linie erschreckend belanglos. Es mag noch irgendwie niedlich sein, wenn Otto als Milchlieferant durch seine Heimat fährt und Flaschen durch die Gegend wirft oder mit einem bewusst künstlichem Pinguin redet, aber insgesamt ist so wenig Leben, so wenig Esprit in dem ganzen Unterfangen, dass man eher beschämt denn erfreut aus dem Erlebnis herausgeht. Otto war schon mal lustiger. Und das liegt nicht nur daran, dass man nostalgisch zurückblickt, im Direktvergleich hatten die vorangegangenen Kinofilme schlicht ein besseres Timing und eine größere Gagdichte. Schlussendlich kann man nur konstatieren, dass der Trailer weitaus unterhaltsamer daherkam als der fertige Film. Das Auditorium von damals schien es geahnt zu haben.




Samstag, 28. Juni 2014

Der Illusionist (2010)




DER ILLUSIONIST
(L’illusionniste)
Frankreich/Großbritannien 2010
Dt. Erstaufführung: 18.10.2012
Regie: Sylvain Chomet

Es ist mal wieder an der Zeit, den deutschen Filmverleih zu hinterfragen. Seine Weltpremiere feierte die französisch-britische Koproduktion Der Illusionist Anfang 2010 auf der Berlinale, bevor er erst Monate später in seinen Entstehungsländern auf der Leinwand zu sehen war. Es folgte eine Tour über diverse internationale Filmfestivals, bis er ab Ende 2010 bis Ende 2011 in diversen Ländern rund um den Globus ins Kino kam. Nur im Premierenland Deutschland nicht. Erst im Oktober 2012 entschloss sich das so verlässliche wie cinephile Label Arthaus dazu, dem breiteren Publikum den Film nicht mehr vorzuenthalten. Wobei „breiteres Publikum“ in diesem Fall relativ ist, denn Der Illusionist ist zwar ein Animationsfilm, aber von den marktbeherrschenden US-amerikanischen Produktionen meilenweit entfernt. Nicht nur, dass er klassische handgezeichneten Trickfilm der Extraklasse bietet und nicht am Rechner erschaffen wurde, er ist auch mehr oder minder ein Stummfilm. Worte fallen spärlich, Dialoge sind quasi nichtexistent. Der Illusionist lebt voll und ganz durch seine berauschende künstlerische Qualität, die sogar die inhaltliche Ebene auf einen hinteren Rang verweist.

1959: in Paris neigt sich die Karriere eines alternden Magiers unaufhaltsam dem Ende entgegen. Seine Künste sind nicht mehr gefragt, die Menschen jubeln lieber den aufkommenden Rockstars zu als einem Mann, der ein außergewöhnlich dickes Kaninchen aus dem Hut zaubert. Sein Weg verschlägt ihn irgendwann in die schottische Provinz, in der seine Darbietungen noch besser ankommen. Dort lernt er eine junge Frau namens Alice kennen, die seine Magie für Realität hält. Die beiden reisen nach Edinburgh, wo der Illusionist sich mit allerlei zunehmend unwürdigeren Jobs über Wasser zu halten versucht…

Basierend auf einem Drehbuch von Filmlegende Jacques Tati wurde Der Illusionist von Sylvain Chomet inszeniert, der einen verdienten internationalen Erfolg mit seinem herrlich verqueren Das große Rennen von Belleville feierte. Und auch wenn die Animationen hier sauberer und das Design „mainstreamtauglicher“ daherkommt, ist Der Illusionist doch erfrischend anders als alles, was Disney, DreamWorks & Co. auf das Publikum loslassen. Dies hat sich beispielsweise bei der Vergabe der Oscars für den besten animierten Spielfilm noch nicht niedergeschlagen (Der Illusionist verlor, in diesem Fall womöglich gerechtfertigt, gegen Toy Story 3), aber die bloße Nominierung dürfte Werken wie diesem oder beispielsweise Brendan und das Geheimnis von Kells oder Ernest & Célestine automatisch eine höhere Aufmerksamkeit bescheren, als sie sonst zu generieren imstande wären.

Der Illusionist ist eine künstlerische Meisterleistung, ohne Frage. Die Charakteranimation ist famos, die Schauplätze mit unbeschreiblicher Wärme und Talent gezeichnet, die Farbgebung passt sich harmonisch dem melancholischen Ton an, den Chomet bemerkenswert konsistent durchhält. Wem die wenigen Auftritte des renitenten Kaninchens (dem jegliche anthropomorphen Züge abgehen) nicht als Auflockerung reichen, der wird vielleicht irritiert von den wenigen durch und durch humorvollen Einlagen sein, vom Ton eines Films aus einer Richtung, die immer noch mit dem beharrlichen Vorurteil zu kämpfen hat, lediglich für Kinder und Familien interessant zu sein. Der solitäre Erwachsene schaut sich bekanntlich keine Trickfilme an.
Doch Der Illusionist dürfte dank seiner bittersüßen Atmosphäre und den Themen, die er anspricht, für Erwachsene etwas gelungener ausfallen als für Kinder, vor allem, wenn sie ausschließlich mit den Narrativen des Mainstreams vertraut sind (was nicht ausschließen soll, dass Chomet auch Kindern neue ästhetische Welten eröffnen kann).

So sehr der Film sinnlich erfahrbar, so sehr seine künstlerische Leistung über alle Zweifel erhaben ist, so sehr tritt die eigentliche Geschichte in den Hintergrund. Am stärksten ist Der Illusionist, wenn er von dem Zerfall der Welt seines Protagonisten erzählt. Eine der gelungensten Sequenzen ist jene, in der der altmodische Unterhalter hinter der Bühne wartet, während eine stark an die Beatles erinnernde Band eine Zugabe nach der anderen für das vornehmlich kreischende Publikum junger Frauen gibt. Wenn sich der Vorhang wieder hebt, sind nur noch eine alte Dame und ihr ungeduldiger Enkel im Auditorium – und nur sie kann der Vorstellung etwas abgewinnen. Die Zeit rinnt dem Magier zusehends durch die Finger, der Zeitgeist ändert sich, er ist dazu immer weniger in der Lage. In diesen Momenten entwickelt der Film eine beachtliche Kraft, die er immer dann verliert, wenn sich Chomet mehr auf Alice und ihre Beziehung zu dem Illusionisten fokussiert.
Alice ist extrem naiv – so sehr, dass die Glaubwürdigkeit der Figur darunter leidet. Dass sie die Illusionen für bare Münze nimmt, ist zwar ein hübscher Einfall, doch Alice ist eigentlich zu alt für derlei Gutgläubigkeit, erst recht, wenn der Magier ihr all ihre Konsumwünsche erfüllt. Auch 1959 dürfte es kaum einen Menschen in Schottland gegeben haben, dem die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Kapitalismus so fremd waren wie Alice. Sie glaubt lange, dass all das, was der Illusionist für sie herbeizaubert (Schuhe, Mäntel, etc.) wirklich durch Zauberei den Weg in seine Hände findet anstatt durch Arbeit, Lohn und Warenverkehr. So steht Alice manchmal in einem recht ungünstigen Licht da, als Anhängsel, das dem Protagonisten das Leben noch schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Zwar liefert der Film eine Erklärung für die väterliche Hingabe, die der Magier an den Tag legt (und Chomet klatscht diese Erklärung wohl aus Angst, jemand könnte es nicht verstanden haben, ziemlich penetrant am Ende ins Bild), aber so wirklich organisch fühlt sich dieser zentrale Punkt nie an, sieht man mal von den ersten Begegnungen in der Provinz ab.

Mit einer Lauflänge von unter 80 Minuten ist Der Illusionist ein kurzer Ausflug in eine Filmwelt, die nur noch von wenigen Werken, egal ob animiert oder nicht, besucht wird. Vom sinnlichen Standpunkt aus könnte man sich noch viel länger in Chomets wunderbarem Kosmos aufhalten, in dem das Design stets nach dem grotesken, nach dem abwegig-schönem im Menschen sucht, anstatt sich auf einen gängigen Schönheitskonsens einzulassen. Inhaltlich fällt der Film durch einige Disharmonien etwas ab, aber es sind die Ästhetik und die technisch virtuose Umsetzung, die Der Illusionist immer wieder retten.



Freitag, 27. Juni 2014

Nebraska (2013)




NEBRASKA
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Alexander Payne

IMDB informiert den interessierten Leser, dass Alexander Paynes Nebraska auf diversen Filmfestivals in den unterschiedlichsten Kategorien insgesamt 73mal nominiert war, darunter sechsmal für den Oscar. Der Name Bruce Dern schiebt sich dabei beständig in den Vordergrund und man könnte den Eindruck gewinnen, Dern würde den Film fast alleine tragen. Umso erstaunter muss man feststellen, dass dem nicht so ist. Der Altstar ist zwar zweifellos hervorragend in seiner Rolle, doch der eigentliche Hauptdarsteller ist Will Forte (TVs Saturday Night Live) als Filmsohn David. Dennoch wird Forte bestenfalls mit einer Nominierung als bester Nebendarsteller bedacht, was ihm, seiner Leistung vor allem seiner Rolle Unrecht tut. Nebraska ist, wenn schon, ein Film mit zwei gleichberechtigten Mimen, die sich auf unaufdringliche Art die Seele aus dem Leib spielen und dabei auch noch von einer ganzen Schar hervorragender Darsteller unterstützt werden. Still und leise erzählt Payne mit ihnen eine bemerkenswert universell einsetzbare Familiengeschichte, die für manchen oberflächlich betrachtet vielleicht belanglos wirken mag, aber sehr viel über menschliche Beziehungen, eben gerade die unaufkündbaren interfamiliären, erzählt.

Woody Grant (Bruce Dern) ist ein vom fast lebenslangen Alkoholmissbrauch gezeichneter Mann. Sein Körper wirkt wie eine rostige Maschine und auch die Zurechnungsfähigkeit lässt nach. So versteht er auch nicht, dass er einem Werbegag aufsitzt, als ihm eine Postwurfsendung einen Gewinn von einer Million Dollar verspricht, abzuholen in Lincoln, Nebraska. Nach einigen fruchtlosen Versuchen, den störrischen Alten von seinem Plan abzubringen, macht sich der jüngere Sohn David (Will Forte) schließlich mit seinem Vater auf den Weg von Montana aus zum Ort der Verheißung – nicht ganz uneigennützig, denn David hofft, auf diesem Weg endlich einen Zugang zu seinem stoischen Erzeuger zu bekommen. Es wird ein Roadtrip der kuriosen und melancholischen Art und als die beiden in Montana bei Woodys Bruder Ray (Rance Howard) und seiner Frau Martha (Mary Louise Wilson) in der Heimatstadt des Vaters zwischenhalten, beginnen auch bald interfamiliäre Abrechnungen – schließlich ist Woody ja jetzt Millionär…

Nebraska ist ein Film über Abhängigkeiten und die wunderlichen Gefüge, die in einer Familie walten. Woody wird als Mann gezeichnet, der sich zeit seines Lebens nicht viele Gedanken über die Situationen gemacht hat, in die er hineingerät. Es wurde geheiratet, weil man das eben so machte, Kinder entstanden aus der Konstellation katholische Mutter und Vater mit Freude am Sex, ein bewusster Entscheidungsprozess lag dem nicht zugrunde. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Woody seinen Alkoholismus nie in Frage gestellt hat. Bier klassifiziert er nicht als Alkohol und wenn man selbst kein Problem erkennt sucht man auch nicht nach Hilfe. Die Grants sind eine Familie Co-Abhängiger, in der jeder seine eigenen Wege gefunden hat, mit der belastenden Situation umzugehen. Der ältere Sohn Ross (Bob Odenkirk) stürzt sich in die Arbeit, die Mutter Kate (June Squibb) ist nur noch am nörgeln (und hat ihren strengen Katholizismus im Laufe der Zeit augenscheinlich aufgegeben), was am stets abwesend wirkenden Woody abprallt. David hingegen schwankt zwischen Resignation und verzweifelten Versuchen, doch noch an den Mann, der sein Vater ist, heranzukommen. Dabei begeht Nebraska nicht den Fehler, die Situation in einer generischen Hollywoodsituation aufzulösen. Es gibt keinen großen Knall, keine Aussprache, die Woody läutert oder David vollends beglückt zurücklässt. Am Ende sind die Probleme immer noch da, aber für David haben sich neue Wege eröffnet, mit der Situation umzugehen. Der Alkoholmissbrauch wird mosaikartig erklärt, wenn auch nicht entschuldigt – Woody ist ein Opfer seiner eigenen Biographie und der (wohl generationenbedingten) Unfähigkeit, Gefühle und Gedanken in eine nicht nach innen gerichtete Sicht zu kanalisieren.

Nebraska hat seine durch und durch humorvolle Szenen, spart aber auch in ihnen nicht an einer melancholischen Grundhaltung. So ist der Abstecher zum Mount Rushmore, den Vater und Sohn auf dem Weg nach Lincoln unternehmen, gleichermaßen amüsant, weil Woody eine sehr eigene Sicht auf das Nationaldenkmal formuliert, wie ernüchternd, weil Davids Freude an der Möglichkeit, ein Erlebnis mit dem Vater zu teilen, vollkommen konterkariert wird. Dem Alkoholiker ist die Gefühlswelt anderer noch egaler als die eigene und David tut sich sichtlich schwer daran, diese Tatsache zu akzeptieren. Auch die grandiose Szene, in der Ross und David einem vermeintlich ihrem Vater gehörenden Kompressor stehlen, beinhaltet das Element der Ernüchterung, weil Woody einfach unfähig ist, seine Gedanken in einem normalen Dialog zu äußern.
Neben der sehr kenntnisreichen Schilderung einer Beziehung zu einem trinkenden Familienmitglied wirft der Film auch einen wissenden Blick auf sonstige familiäre Gefüge. So sind die tumben Cousins Davids natürlich Karikaturen, Klischees, aber auch gar nicht mal so abwegige Platzhalter für all jene Familienmitglieder, mit denen eine fruchtbare Diskussion nicht möglich ist, weil sich die Denk- und Erfahrungswelten so sehr voneinander unterscheiden. Natürlich sieht Payne den Zuschauer mehr in der Rolle Davids, weil ihm wohl bewusst ist, dass die Cousins des echten Lebens eher keinen Schwarz/Weiß-Film wie Nebraska schauen. Das mag man plump finden, entbehrt aber auch nicht einem gewissen Wahrheitsgehalts, ebenso wie die einsilbige Kommunikation, die Payne unterhaltsam-quälend in Szene setzt. Wohl dem, dessen Familie zu den kommunikativeren zählt.

So ist Nebraska ein sehr ehrlicher Film mit einem ruhigen, aber nicht langweilenden Duktus geworden. Getragen von grandiosen Darstellern, vielen wunderbaren Nuancen (Forte und Odenkirk beispielsweise kommunizieren auf eine Weise, als wären sie wirklich Geschwister), einem herrlichen Score und einem feinen Blick für Beziehungen und deren Dynamiken ist es sicher kein Film der großen Worte oder der definierten Narrative (die Handlung ist eine Momentaufnahme). Aber wenn sich die Figuren und mit ihnen der Zuschauer am Ende wieder auf den Weg nach Montana machen, kommt man nicht umhin, sich bereichert von diesem tragisch-komischen ganz normalen Lebenswahnsinn zu fühlen.



Donnerstag, 26. Juni 2014

RoboCop (2014)




ROBOCOP
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 06.02.2014
Regie: José Padilha

„Remake“ ist ein Wort mit „Geschmäckle“. Wirklich gerne nehmen es Filmschaffende und vor allem Vermarkter nicht in den Mund, verbreitet es doch den dezenten Duft von Ideenausverkauf. Man spricht gern von Neuinterpretation, zumal wenn die Prämisse auf ein anderes Medium, einen Roman etwa, zurückgeht oder von einer Neuauflage für eine nachgewachsene Generation. Da sich die Menschheit gefühlt ohnehin nur ein Dutzend Geschichten in variierenden Konstellationen erzählt, hat das sogar eine gewisse Berechtigung, zumindest aber einer Erklärung. Gute Geschichten kommen auch deshalb immer wieder, weil sie in modifizierter Form aktuell bleiben. Dem RoboCop-Remake gelingt es nun, aufbauend auf Paul Verhoevens brachialer Satire von 1987, zu einer eigenen Sichtweise auf den kybernetischen Gesetzeshüter zu gelangen. Die Kritik war nicht unbedingt gnädig zu dem Film, die niedrige Altersfreigabe sorgte bereits im Vorfeld für Empörung: RoboCop ohne exzessive Gewalt ist doch nicht RoboCop! Doch der Brasilianer José Padilha hatte augenscheinlich auch keine sklavische Adaption des Originals im Sinn. RoboCop 1987 und RoboCop 2014 sind zwei sehr unterschiedliche Filme, die mehr als Randnotiz den gleichen albernen Titel tragen.

Im Jahr 2028 werden die Krisenherde dieser Welt von diversen Kampfrobotern kontrolliert, die allesamt vom OmniCorp Konglomerat stammen. Nur in den USA selbst sind die metallenen, unbestechlichen und angeblich auch nahezu unfehlbaren Gesetzteshüter noch nicht im Einsatz, weil der Senat sich bisher weigerte, eine Erlaubnis für derlei Projekte zu erteilen. Umfragen lassen zudem den Schluss zu, dass die Amerikaner einem rein künstlichen Polizisten ohne jegliche menschliche Regungen nicht vertrauen würden. Als der idealistische Detroiter Polizist Alex Murphy (Joel Kinnaman) im Zuge einer Ermittlung gegen einen Waffenhändler (Patrick Garrow) schwer verwundet wird, kommt die Zeit für ein neues OmniCorp-Projekt: den kybernetischen Polizisten, körperlich schwer angeschlagene Cops sollen mithilfe von Robotertechnologie wieder in den Dienst zurückkehren können. Drei Monate nach seinem Unfall erwacht Alex in Gestalt des von den Medien und der Bevölkerung bald „RoboCop“ getauften Inkarnation. Doch was heißt es, wenn man ein menschliches Hirn in eine hochentwickelte Maschine steckt – und was bedeutet das vor allem für Murphy selbst?

RoboCop ist beileibe kein perfekter Film, manchmal versagt er sogar auf den Basisleveln des Unterhaltungskinos. Das liegt vor allem an der bemerkenswert emotionslosen Darstellung von Joel Kinnaman. So arbeitet sich der Film fruchtlos an der Beziehung zwischen Alex und seiner Frau Clara (Abbie Cornish) und Sohn David (John Paul Ruttan) ab, ohne auch nur einmal eine genuine Emotion zu generieren. Kinnamans Darbietung reicht für das Grundverständnis des Subtextes, ehrlich mitgenommen wird das Publikum nicht. Auf dem emotionalen Level war Verhoevens RoboCop und sein Ausflug in sein leer stehendes Haus sehr viel erfolgreicher.

Hervorragend aber gelingt Padilha das Update des intellektuellen Parts der Geschichte. 1987 war RoboCop noch eine zynische Abrechnung mit dem Amerika der Reagan-Ära, 2014 ist RoboCop ein Kind des WikiLeaks-Zeitalters, der Welt der Drohnenkriege und der ständigen Verfügbarkeit von Daten. Alles wird irgendwo gespeichert, jeder Schritt kann, wenn man an den richtigen Stellen sucht, nachverfolgt werden. So ist RoboCop zunächst genauso überfordert mit der schieren Masse an Daten wie jeder durchschnittliche Bewohner der digitalen Welt, die (menschliche) Fähigkeit zur Analyse, zum Filtern, muss erst erworben werden. Geradezu süffisant ist in diesem Zusammenhang der Versuch der Verantwortlichen, Alex‘ Gefühle durch eine Hirnmanipulation vollkommen zurückzuschrauben – der Mensch ist nur noch Blendwerk für die Öffentlichkeit, im Hintergrund zieht ein nüchterner Computer die Fäden. Alex ist abwechselnd eine Maschine, die sich für einen Menschen hält und ein Mensch, der glaubt eine Maschine zu sein. RoboCop stellt damit nicht nur die ewig junge Frage nach dem Wesen des Menschen im Umfeld einer zunehmend technisierten Welt, er plädiert auch für einen besonnenen, ja geradezu ethischen Umgang mit Daten. Nicht alles, was man aufgrund von Informationen tun oder entscheiden kann, muss auch zwangsläufig durchgeführt werden. Im WikiLeaks-Beispiel wäre das eine Unterscheidung zwischen Informationen, die Verstoße gegen die Menschenrechte aufklären und solchen, deren Verfügbarkeit eher jenen in die Hände spielen, die genau diese Rechte angreifen. Der Computer handelt rational, der Mensch denkt. Beide Systeme produzieren Fehler, geradezu zwangsläufig, und RoboCop ist ein Triebwerk, dass unter der Oberfläche des etwas holprigen Popcornfilms ständig auf Hochtouren läuft.

In diese Kerbe schlägt auch die ätzende Satire, die Padilha mit der TV-Show von Pat Novak (Samuel L. Jackson) inszeniert, und die als eine Art Rahmen, Exposition und Kommentar zum eigentlichen Geschehen dient. Hier kommt Padilha Verhoeven am nächsten, wenn er Jackson als Moderator mit unbestimmter politischer Gesinnung als Medienstellvertreter mal so, mal so argumentieren lässt und aus komplexen Diskurs ein populistischer Reflex wird, der den Zuschauer am Ende mit dumpfen Patriotismus wieder schlafen legt.
So bietet Padilhas RoboCop weitaus mehr, als Puristen ihm zugestehen wollen. Sicherlich war Verhoevens Film greller, überlebensgrößer und in letzter Konsequenz auch unterhaltsamer inszeniert, aber unter der generischen Oberfläche des Remakes schlägt ein ambitioniertes Herz, das seine Ideen und Diskurse vom Zuschauer freigelegt sehen möchte. Sieht man RoboCop als reines Konsumprodukt an, kann er wohl nur enttäuschen, vor allem, wenn man die Meinung vertritt, Verhoevens Gewaltfetischismus sei ein unabkömmlicher Bestandteil der Narrative. Doch letztlich sind die beiden Version der Geschichte recht unterschiedliche Filme, die beide in die jeweilige Zeit passen.
RoboCop 2014 hat das Zeug dazu, in zwanzig, dreißig Jahren sehr viel besser besprochen zu werden als zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung, erzählt er hinter den Actionsequenzen und den mitunter etwas hölzernen Darbietungen doch bemerkenswert viel über die Zeit, aus der er stammt. Und das Bild eines von seiner „Rüstung“ befreiten Alex, der nur noch aus Kopf, Lungenflügeln, Luftröhre und einer Hand besteht, ein „head on a stick“ sozusagen, könnte sich zu einem definierenden Moment in der filmischen Darstellung der Mensch/Maschinen-Beziehung mausern.