Dienstag, 27. Mai 2014

X-Men - Zukunft ist Vergangenheit (2014)




X-MEN - ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT
(X-Men: Days of Future Past)
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 22.05.2014
Regie: Bryan Singer

Die Screen Junkies konnten passenderweise in ihrem neusten Honest Trailer zu den bisherigen X-Men-Filmen die Frage nicht beantworten, warum die Mutanten und ihre Fähigkeiten von der Gesellschaft oftmals abgelehnt und angefeindet, während Helden wie Spider-Man, Iron Man und der Hulk im gleichen Universum gefeiert werden. An dieser simplen Fragestellung lässt sich bereits ablesen, dass a) die X-Men vor dem langsam aus allen Nähten platzenden „cinematic MARVEL universe“ das Licht der Leinwand erblickten und b) man es mit diesem ganzen Comic-Mumbo-Jumbo wohl nicht so genau nehmen sollte. Es ist recht praktisch, dass die X-Men-Filme (noch) nicht in den Rest des MARVEL-Universums eingemeindet wurden, denn sie haben wahrlich genug mit sich selbst zu tun.
Das stellenweise überbordende Lob, dass dem neusten Franchisebeitrage Zukunft ist Vergangenheit entgegenschlägt, lässt zudem die Vermutung aufkommen, dass die X-Men mehr wegen ihren Möglichkeiten denn wegen der Filme an sich geliebt werden. Als Projektionsfläche sind die Mutanten grandios, die inzwischen sieben in diesem Kosmos angesiedelten Filme kommen qualitativ sehr unterschiedlich daher. Nach einem sehr holprigen Start 2000 folgte mit X-Men 2 ein erfolgreicherer Beitrag, nur um danach von X-Men – Das letzte Gefecht konterkariert zu werden. Die zwei Solo-Abenteuer von Wolverine waren beide vergessenswerte Zuschauerbeleidigungen, bis 2011 mit X-Men – Erste Entscheidung ein Prequel in die Kinos kam, dass zwar erzählerisch nicht allzu viel neues bot, aber sehr viel energetischer und unterhaltsamer als die meisten anderen Beiträge zur Reihe daherkam. X-Men - Zukunft ist Vergangenheit ist nun ein Versuch, die beiden Erzählstränge zusammenzuführen, also die Riege der „alten“ X-Men aus den ersten drei Teilen mit ihren jüngeren Inkarnationen aus Erste Entscheidung zu vereinen.

In einer nicht allzu fernen Zukunft haben die Sentinels, hochentwickelte Kampfmaschinen, die Erde in eine Ödnis verwandelt. Einst geschaffen, um Mutanten aufzuspüren und unschädlich zu machen, wandten sie sich bald auch gegen normale Menschen, die Mutanten halfen oder die potenziell mutierte Kinder bekommen könnten. Die letzten Reste der X-Men kämpfen einen aussichtslos erscheinenden Kampf und schicken schließlich Wolverine (Hugh Jackman) zurück in die 1970er Jahre, um den jungen Charles Xavier (James McAvoy) mit seinem Erzfreund Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) zu vereinen. Denn nur gemeinsam können sie ihre ehemalige Freundin Mystique (Jennifer Lawrence) aufhalten, die den Schöpfer der Sentinels, den Industriellen Dr. Bolivar Trask (Peter Dinklage) erschießen will und damit den Lauf der Geschichte erst richtig in Fahrt bringt. Keine einfache Aufgabe für den ungeduldigen Grantler und auch keine einfache Aufgabe für die zerstrittenen Freunde, die einst Professor X und Magneto sein werden…

X-Men – Zukunft ist Vergangenheit ist unbestreitbar ein ambitionierter Film, der sichtlich Lust an dem Spiel mit Zeitebenen, an ihrer Dekonstruktion und ihrer Neuschöpfung, hat. Kontinuitätsfreunde werden sich grausen und ein bisschen faul ist der Film in der Hinsicht auf die offensichtlichsten Fragen (wie Magnetos wiedergewonnene Kräfte und Prof. X‘ pure Existenz nach dem Ende von X-Men – Das letzte Gefecht), auch wenn sich die Fans im Internet genügend holprige Erklärungen für all die plot holes zusammenschustern. Man darf wohl annehmen, dass Zukunft ist Vergangenheit als eine Art Reboot funktionieren soll, das viele, wenn nicht gar alle, Ereignisse aus den bisherigen Filmen (mit Ausnahme von Erste Entscheidung) als obsolet erklärt. Gerade im Hinblick auf Totalausfälle wie X-Men Origins: Wolverine ist das wohl eine gute Nachricht.

So unterhaltsam und kurzweilig der Film auch ist, ganz kann man das Gefühl nicht abschütteln, dass Zukunft ist Vergangenheit sich mehr vornimmt, als er abarbeiten kann. So ist er geradezu versessen darauf, sofort mit der Action zu beginnen und lässt die dystopische, an Der Terminator erinnernde Zukunft, links liegen. Schnell abgefrühstückte Expositionen werden anstelle einer sinnlich erfahrbaren Situation gesetzt, mit einem „world building“ hält sich der Film nicht auf, was auf Kosten der Dringlichkeit geht. Sicherlich, wir werden Zeuge von ziemlich gewalttätigen Vernichtungen vieler X-Men, aber die Chance zu zeigen, dass die Sentinels eine Bedrohung für alle Menschenformen sind und die von ihnen geschaffene Zukunft kein lebenswerter Ort für Alle ist, wird auf geradezu ärgerliche Weise verschenkt. Andere Konflikte, wie der zwischen Xavier und seiner Behandlung, die ihn zwar wieder laufen lässt, ihm aber auch seine Kräfte nimmt, werden angerissen und dann fallengelassen, die Loyalitäten ändern sich manchmal etwas zu schnell, neue Mutanten werden eingeführt und lediglich auf ihre Fähigkeiten reduziert [besonders schlimm trifft es Bishop (Omar Sy) und Quicksilver (Evan Peters), dem immerhin eine der schönsten Sequenzen des Films gewidmet wird]. Der innere Kampf von Mystique wird hingegen sehr gut verhandelt, ebenso die wechselvolle Dreiecksbeziehung, die sie mit Xavier und Erik verbindet.

Zukunft ist Vergangenheit muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob die Geschichte zur rechten Zeit kommt. Erste Entscheidung war ein guter Ausgangspunkt für neue, frische, energiegeladene Abenteuer der X-Men, so dass die Zusammenführung mit der „alten“ Riege, die am Ende auch so enervierende Figuren wie Jean Grey (Famke Janssen) und Scott Summers (James Marsden) wieder auftauchen lässt, wie ein Bremsmanöver wirkt. In Zeiten von ständigen Neuauflagen ist es doch erstaunlich, dass sich eine Filmreihe wie diese um Dinge wie eine leidliche Kontinuität schert. Zumal man so fast alle Nebenfiguren aus Erste Entscheidung einfach für tot erklären kann. Außerdem drückt sich das Franchise wieder einmal darum, die Mutanten in einen gesellschaftlichen Kontext der Zeit zu stellen, ein Punkt, der schon im Vorgänger auffiel. In Zeiten der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, was hätte es da für Ansatzpunkte gegeben. Hier wird die Historie mit Hinweisen wie „John F. Kennedy war ein Mutant“ bedacht und dann ebenso vergessen wie viele andere Plotelemente. An großartigen Szenen vom Kaliber einer „Hast du schon einmal versucht, kein Mutant mehr zu sein“-Unterhaltung aus X-Men 2 mangelt es Zukunft ist Vergangenheit.

Handwerklich ist der Film selbstredend hervorragend und voller visueller Bonmots wie den multiplen Wurmlöchern, die von einer Mutantin erschaffen werden oder dem Design der Sentinel-Transportflugzeuge, die nicht von ungefähr an umgedrehte Särge erinnern. Auch eine Überschneidung zwischen „echtem“ Filmmaterial und „authentischen“ Super-8-Aufnahmen von Passanten ist ein herrlicher Einfall, ebenso die bereits erwähnte Quicksilver-Szene sich aller Register der Tricktechnik bedient, ohne dass es aufgesetzt oder protzig wirkt.
So ist X-Men – Zukunft ist Vergangenheit ein unterhaltsamer Popcornfilm mit mehr als den sonst im Superheldenfilm üblichen Ideen, die aber innerhalb der zwei Stunden Laufzeit etwas zu sehr miteinander konkurrieren. Regisseur Bryan Singer und Drehbuchautor Simon Kinberg fangen viel an, beenden wenig, setzten manchmal disharmonische Prioritäten, legen aber auch den Grundstein für interessante weitere Episoden aus dem Mutanten-Universum. Wenn man sich dann auch wieder mehr auf die Qualitäten von Erste Entscheidung konzentriert (sprich weniger „alte“ X-Men inklusive Wolverine und noch mehr Fassbender, Lawrence und McAvoy), stehen die Chancen gut, dass die wirklich großartigen Franchisebeiträge noch kommen werden.



Montag, 26. Mai 2014

Lethal Weapon 4 - Zwei Profis räumen auf (1998)




LETHAL WEAPON 4 – ZWEI PROFIS RÄUMEN AUF
(Lethal Weapon 4)
USA 1998
Dt. Erstaufführung: 13.08.1998
Regie: Richard Donner

Sechs Jahre sollte es dauern, bis Richard Donner als Regisseur und seine komplette Besetzung nach dem misslungenen dritten Teil wieder zusammenkamen, um einen vierten Teil der 1987 gestarteten Lethal Weapon-Reihe auf die Beine zu stellen. Das gesamte Projekt umschwirrt die Aura von „Wir wollen es nochmal wissen“ und wenn man wohlwollend auf das Endprodukt schaut, kann man vielleicht auch zum Schluss kommen, dass dies geglückt sei. In der Kernkompetenz der Serie, den Actionszenen, gibt es tatsächlich wieder mehr zu bestaunen als im Vorgänger. Mel Gibsons Kampf in einem transportablen Musterhaus, der sich irgendwann halsbrecherisch auf die Schnellstraße verlegt, ist unterhaltsamer als alles, was Lethal Weapon 3 dem Zuschauer offerierte, ebenso wie die Szene mit einem Rabbi, der eine christliche Pseudo-Trauung vornehmen soll, witziger als alles ist, was man im 1992er-Aufguss gesehen hat. Lethal Weapon 4 hat seine Momente, entspricht aber sonst genau dem Lehrbuch für aufgeblasenen Blockbusterunterhaltung. Einige Fehler vor allem aus Teil Drei, werden bemüht ausgebügelt, was den Film aber nicht davon abhält, ganz neue zu produzieren.

Das Alter macht inzwischen auch nicht vor Riggs (Mel Gibson) halt – er spürt, ganz wie sein Partner Murtaugh (Danny Glover), dass ihm die Polizeiarbeit auf der Straße nicht mehr so leicht von der Hand geht wie früher. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Riggs‘ Freundin Lorna Cole (Rene Russo) ist schwanger, ebenso wie Murtaughs Tochter Rianne (Traci Wolfe), die ihre Ehe mit dem neuen Polizisten beim LAPD, Lee Butters (Chris Rock) allerdings vor dem Vater geheim hält, hat dieser ihr doch immer gepredigt, sich nie mit Cops einzulassen. All dies hindert die zwei natürlich nicht daran, wieder einmal in Schwierigkeiten zu geraten. Zufällig kommen sie einem chinesischen Menschenschmugglerring der Triaden auf die Spur, der vom aalglatten „Onkel Benny“ (Kim Chan) geleitet wird. Doch als viel gefährlicher erweist sich dessen rechte Hand Wah Sing Ku (Jet Li), ist er doch auf sehr persönlicher Ebene in die illegalen Machenschaften verwickelt und da kommt ihm eine polizeiliche Einmischung nicht sonderlich gelegen…

Lethal Weapon 4 ist ein schönes Beispiel für das Baukastenprinzip, nach dem viele große Sommerfilme aus den USA funktionieren. Das amerikanische Mainstreamkino entdeckte Ende der 1990er Jahre fernöstlichen Kampfsport für sich – und so wird in diesem Film mehr Martial-Arts gezeigt, als gut für ihn ist. Jet Li kickt sich die Seele aus dem Leib und natürlich ist jeder Handlanger im Dienste der Triaden zu ähnlichen Aktionen fähig, um den Helden das Leben schwer zu machen. Als sonderlich sensibel haben sich die Lethal Weapon-Filme noch nie gezeigt und auch der vierte Teil bedient diverse kulturelle Klischees, die durch die überzogene Regie nur bedingt als comichafte Überzeichnungen entlarvt werden.
Ansonsten wird die Homophobie, die im ersten Teil durch diverse Aussprüche Riggs‘ präsent war, wieder aus der Mottenkiste geholt, wenn Murtaugh dank Riggs‘ vagen Andeutungen glaubt, Lee Butters wäre schwul und an ihm interessiert. Überhaupt trifft es Murtaugh wieder einmal am härtesten, dient er doch in erster Linie als Zielscheibe für die Scherze seines Partners, wird ständig vorgeführt und die zur kruden Tradition gewordene partielle Zerstörung seines Hauses wird auf die traurige Spitze getrieben. Aber in der Logik des Films ist es ja kein Problem, ein Heim mit allen Erinnerungen aus Jahrzehnten des Zusammenlebens zu verlieren, wenn die Ehefrau (Darlene Love) unter einem Pseudonym schwülstige Romane schreibt und damit viel Geld verdient. Das Gefühlsleben der Figur Roger Murtaugh, erst recht das seiner Familie, ist größtenteils nur noch behauptet und am Ende wird sein Charakter nicht einmal mit einer Katharsis belohnt, weil man meinte, Riggs wäre ein besserer Gegner für Wah Sing Ku. Lethal Weapon 2 war gerade in dieser Hinsicht sehr viel sinniger konstruiert.

Doch Murtaugh ist nicht der einzige Charakter, mit dem das Drehbuch von Channing Gibson (TVs Murder One) wenig anfangen kann. Wenn man Lorna Cole im dritten Teil noch als Versuch werten konnte, dem Testosteronüberschuss etwas entgegenzusetzen, ereilt sie hier das gleiche Schicksal wie alle Frauenfiguren in der Reihe: sie wird in den Hintergrund degradiert. Cole kann sich bei einem Angriff zwar noch wehren, aber auch sie wird auf den Gemeinplatz der Mutter und sorgenden Ehefrau verwiesen. Frauen haben in der Lethal Weapon-Welt nicht viel zu tun. Auch Joe Pesci als Leo Getz ist ein schwankender Charakter, der wie ein plot device immer dann zur Stelle ist, wenn man ihn für ein Ablenkungsmanöver oder auch nur für einen schalen Scherz braucht. So geht der Versuch, aus ihm am Ende eine Art spirituelle Leitfigur zu machen ebenso schief, wie ihm schon wieder einen neuen Job als Privatdetektiv angedeihen zu lassen. Als neuer Charakter Lee Butters ist Chris Rock wie üblich ziemlich nervtötend und Jet Li ist der stereotype „böse Asiate“.

Zumindest kann man Lethal Weapon 4 zugutehalten, dass er sich flott bewegt und das auch nicht in solchen Kreisbewegungen wie sein Vorgänger. Genügsam unterhaltend ist das Ganze ja immer noch, nur das sorgfältig komponierte Drehbuch fehlt, ebenso wie eine gewisse Sensibilität für die involvierten Charaktere. Standardisiert ist hier fast alles und das noch lohnenswerte und das weniger erfolgreiche Material halten sich gegenseitig in Balance. Lethal Weapon 4 ist insgesamt etwas ansehnlicher als Teil Drei, aber weit entfernt vom Einstieg oder Teil zwei, dem besten Beitrag zur Reihe. Sollte es jemals einen fünften Teil geben, täte man gut daran, sich wieder an diese Zeiten zu erinnern. Denn so, wie sich Riggs und Murtaugh hier präsentieren, sind sie nur müde Erinnerungen an eine Zeit, in der Actionfilme dieser Art zumindest ein Grundmaß an erzählerischer Kohärenz aufweisen konnten. Oder wenigstens durchgängig Spaß machten.



Sonntag, 25. Mai 2014

Der Augenblick des Friedens (1965)



(Szenenfoto)
 
DER AUGENBLICK DES FRIEDENS
(Le moment de paix / Chwila pokoju)
Frankreich/Deutschland/Polen 1965
Dt. Erstaufführung: 25.11.1965 (TV-Film)
Regie: Georges Franju, Egon Monk & Tadeusz Konwicki

Episodenfilme tauchen nur vereinzelt auf, das Erzählen einer einzigen, umfassenden Geschichte scheint erstrebenswerter zu sein als die Beleuchtung eines Sujets von im besten Falle verschiedensten Blickwinkeln. Vielleicht liegt es daran, dass durch die Beschäftigung meist mehrerer Regisseure ein mitunter enervierender Mix entstehen kann, da jeder selbstredend auf einer eigenen künstlerischen Vision beharrt. Darum ist ein Film wie Night on Earth von Jim Jarmusch gelungener als beispielsweise Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation, weil beim ersteren ein einzelner Regisseur diverse Episoden inszenierte, bei zweiterem viele Köche den Brei verdarben. Der Augenblick des Friedens, ein vom NDR produzierter TV-Film aus dem Jahr 1965, fällt irgendwo in die Mitte. Die drei beteiligten Regisseure bemühten sich augenscheinlich um eine gewisse stilistische Kohärenz, ohne dabei eine individuelle Inszenierung vollkommen aufgeben zu müssen. Das Ergebnis ist ein durchaus interessanter Film, der etwas unter seiner eigenen Sperrigkeit leidet.

Der titelgebende Augenblick, der das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa bedeutet, eint die drei jeweils etwa 30 Minuten langen Segmente. In der ersten Erzählung, Die weißen Vorhänge aus Frankreich, erleben ein kleiner Junge (Michel Robert) und eine verwirrte alte Frau (Hélène Dieudonné), die sich als Vagabunden durchschlagen, die Befreiung der Normandie durch die Alliierten. Im deutschen Beitrag Berlin N 65 erwartet ein junger Mann (Peter Kappner) zusammen mit seinen fatalistischen Nachbarn das Eintreffen der Armeen in einem Berliner Bunker, während im polnischen Film Matura eine Abiturprüfung im Angesicht der vorrückenden russischen Armee stattfindet und sich privates und politisches vermischt.

Während die Segmente, wohl auch wegen der Schwarz/Weiß-Ästhetik und der mangelnden Experimente mit dem Bild, stilistisch zusammenpassen, sind sie inhaltlich deutlich unterscheidbar. Matura ist der lebendigste, aber auch bitterste Beitrag, während Die weißen Vorhänge recht verklausuliert daherkommt. Berlin N 65 siedelt sich dazwischen an. Auf die Bilder, die man von einem de facto Kriegsfilm erwartet, verzichtet Der Augenblick des Friedens nicht nur aus Gründen des Budgets. Es sind kleine Geschichten einfacher Leute, keine hohe Politik und auch keine Ursachen- oder Wirkungsforschung. Der Krieg ist da, das Ende ebenso, es wird halt gelebt und überlebt. Da alle Episoden nah bei ihren Protagonisten bleiben, versagt sich der Film natürlich einen Diskurs über die Gräuel des Krieges, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Über Konzentrationslager wird man in Der Augenblick des Friedens nichts hören, auch gehören alle Protagonisten zur Mehrheitsbevölkerung, aber nicht zu den aktiven Helfern der Nationalsozialisten. Im Endeffekt ist der Film eine Meditation über ein Europa nach einer der größten Katastrophen der Geschichte, über Verlust und Neuanfang. Interessant dabei ist, dass der Erwerb von Bildung sich als roter Faden durch die Segmente zieht und als Ausweg gesehen wird. Der kleine Junge in der ersten Episode saugt Wissen geradezu auf, nachdem es ihm wieder zugänglich ist, der junge Mann in Berlin ist ein Intellektueller und die Hauptfigur in Matura muss erkennen, dass ihm mit einer sauber und in angebrachter Zeit über die Bühne gebrachter Abiturprüfung mehr gedient gewesen wäre als mit hitzköpfigen Vorpreschen. Von seinem Freund ganz zu schweigen. Die Botschaft, dass man nur mit Bildung und Denkfähigkeit gegen die Schrecknisse der Zeit ankommt, ist ewig jung.

Mit Ausnahme einer etwas sperrigen, didaktischen Dramaturgie kann man dem Film auch noch das Fehlen jeglicher Frauenfigur vorwerfen, die es wert wäre, erwähnt zu werden. Frauen tauchen in Der Augenblick des Friedens nur als verwirrte Großmütter, Hausmütterchen, stumme Angebetete und Opportunisten auf. Alle Episoden handeln von männlichen Figuren, von ihren Nöten, Sorgen und ihren Geschichten. Es wäre schön gewesen, wenn sich wenigstens einer der Regisseur aus dieser Nische heraus bewegt oder einer weiblichen Figur zumindest einen Charakter jenseits des Stereotyps gegeben hätte.

Was bleibt ist das Gefühl eines ambitionierten Projektes, das dann und wann schlingert, nie aber vollends niedergeht. Der Augenblick des Friedens ist ein Film mit einer klaren Vision eines von Hass und Desinformation befreiten Europas, in dessen aufgeklärten Klima ein weiterer Weltkrieg undenkbar wird. Dass man 1965 so ermahnte, ist nachvollziehbar. Das man 2014, da diese Besprechung entsteht, wieder an die Vernunft und die Besonnenheit der Europäer appellieren muss, ist zumindest erstaunlich.


 
[Kein Trailer vorhanden]

Freitag, 23. Mai 2014

Razorback - Kampfkoloß der Hölle (1984)




RAZORBACK – KAMPFKOLOß DER HÖLLE
(Razorback)
Australien 1984
Dt. Erstaufführung: April 1986 (Video-Premiere)
Regie: Russell Mulcahy

Wenn man sich den deutschen Untertitel von Razorback so anschaut, kann man ganz wehmütig ob der Einfallslosigkeit der heutigen Verleiher werden. Es wird einfach weniger solch ehrlich-bekloppter Lyrik fabriziert als noch in den 1980er Jahren, gerade, wenn der Film hierzulande nur für den Heimkinomarkt ausgewertet wurde. In der Poetik des Schwachsinns liegt aber auch eine Falle: Kampfkoloß der Hölle kann Erwartungen wecken, die der Film nicht zu decken imstande ist. Denn der titelgebende „Kampfkoloß“ steht, streng genommen, hauptsächlich in der Gegend herum, weil die Puppe sich nur für Close-Ups eignete. Das ist als Umstand unfreiwillig komisch und dennoch unterhält der Film nur dann, wenn das titelgebende Tier in Aktion tritt. Razorbacks sind verwilderte Hausschweine, wie man sie in den USA und in Australien, dem Schauplatz dieses Films, findet und dementsprechend hat man es dann auch noch mit dem ganz besonders dummen Subgenre des Tierhorrors zu tun. Anders als beispielsweise Der weiße Hai findet Razorback immerhin eine leidliche Erklärung für den vom Tier ausgehendem Horror: es ist halt ein ganz besonders großes Schwein. Wer fragt, warum dieser Umstand allein mit einer erhöhten Aggressivität und Menschenfresserei einhergeht, der ist im Genre allgemein und bei Razorback im Speziellen wohl fehl am Platz.

Die amerikanische Journalistin Beth Winters (Judy Morris) reist nach Australien, um dort über die illegale Känguruhjagd zu berichten. Als sie im Outback verschwindet, reist ihr Mann Carl (Gregory Harrison) bald nach, um seine Frau zu suchen. Er entdeckt, dass Beth von einem riesigen verwilderten Schwein, einem sogenannten Razorback, getötet wurde und versucht, es zur Strecke zu bringen. Den gleichen Plan verfolgt Jake Cullen (Bill Kerr), dessen kleiner Enkel dereinst von dem Monster getötet wurde und er sich in den Augen der Justiz und seines Umfelds nie ganz von dem Vorwurf des Mordes freimachen konnte…

Mit Razorback konnte der australische Regisseur Russell Mulcahy international auf sich aufmerksam machen und bekam als nächstes die Verantwortung für Highlander – Es kann nur einen geben übertragen. Das ist schön für Mulcahy, verwunderlich aber dahingehend, warum sein Malen-nach-Zahlen-Horror ihn für den Job empfahl. Denn bemerkenswert sind an Razorback bestenfalls eine psychedelische Traumsequenz und seine Verweigerungshaltung gegenüber seinen Figuren. Eine Katharsis wird ihnen größtenteils vorenthalten. Jake Cullen ist jahrelang auf der Suche nach dem Ungetüm, das in der effektivsten Angriffsszene des ganzen Films seinen Enkel tötet, nur um dann seiner Rache beraubt zu werden. Ebenso kommt das Schwein Carl zuvor, als dieser einen Outback-Redneck (David Argue) stellt, der sehr viel mehr zum Tod von Beth beigetragen hat als das lediglich seine Chancen nutzende Tier. Überhaupt gerät der titelgebende Eber im Vergleich mit den menschlichen Antagonisten zusehends ins Hintertreffen. Die Rednecks sind grausam, ebenso das Umfeld des gebeutelten Cullens, so dass das Riesenschwein streckenweise wie ein zweitrangiger Drehbucheinfall wirkt. Es ist eher die Fähigkeit zu perfiden Plänen, die erschreckend ist, weniger der Razorback – kein allzu guter Ausgangspunkt für einen Tierhorrorfilm.

Wie erwähnt, mangelt es der verwendeten Puppe an Bewegungsmöglichkeiten. Dieses Manko wird teilweise durch den Schnitt wett gemacht. William M. Anderson schafft eine sehr suggestive Montage, die den Zuschauer glauben lässt, er habe mehr gesehen als wirklich da war. Bei genauerem Hinsehen wird das Tier eben hauptsächlich in Nahaufnahmen und verschämten Schwenks gezeigt, wenn es sich bewegt, tut man das nötigste, um die Unzulänglichkeiten der Animatronic zu kaschieren. Der Kampfkoloß ist ziemlich träge, wenn es drauf ankommt.

Unterm Strich ist Razorback ein ungemein trashiges B-Movie, das sich allzu viele Nachfragen nach Sinn und Unsinn des Ganzen verbietet. Unterhaltsam wird es immer dann, wenn das titelgebende Tier einen Auftritt hat und manchmal gelingt es gar, ein paar interessante Kamerapositionen und dementsprechende Bilder zu finden, sogar den ein oder anderen humorvollen Einfäll lässt sich Mulcahy nicht nehmen. Außerdem eignet sich das australische Outback ungemein gut für jegliche Filme dieser Art. Die menschlichen Figuren sind austauschbar und ihre Dramen werden, mit Ausnahme jenem von Cullen, überraschend wenig ausgespielt. Wer knapp 90 Minuten ziemlich genügsame Unterhaltung sucht, der könnte bei Razorback sogar fündig werden. Und wer nur wegen des deutschen Untertitels nach ihm greift – wer könnte ihm/ihr das verübeln?