Montag, 24. März 2014

Blutgletscher (2013)




BLUTGLETSCHER
Österreich 2013
Dt. Erstaufführung: 06.02.2014
Regie: Marvin Kren

Im deutschsprachigen Raum hatte es die Phantastik nach dem Zweiten Weltkrieg schwer. Durchaus kreative Science-Fiction-Geschichten wurden wohlwollender als Groschenromane oder abfälliger als Schund bezeichnet. Die TV-Serie Raumpatrouille Orion aus den 1960er Jahren steht immer noch für die größte Errungenschaft des Genre(pantoffel)kinos und wenn man zumindest den Science-Fiction-Geschichten ein gewisses Existenzrecht zusprach, verhielt es sich mit dem Horrorfilm, in vielen seiner Spielarten ja auch ein phantastisches Genre, ganz anders. Die ZDF-Dokumetation Mama Papa Zombie – Horror für den Hausgebrauch von 1984, die ein einziger hysterischer Alarmruf im Zuge des sich rasant verbreitenden Formats VHS war, genießt heute ob seiner plakativen, generellen Anklage so etwas wie verqueren Kultstatus. Natürlich entsteigen dem Genre manchmal wirklich fragwürdige Produktionen (zu nennen wäre da beispielsweise Andreas Schnaas und seine Violent Shit-Reihe), aber der Trend, der wohl in den 70ern mit Steven Spielbergs Erfolg Der weiße Hai einsetzte und Horrorfilme auch für den Mainstream akzeptierbar machte, musste über kurz oder lang auch die deutschsprachige Filmszene erreichen. Marvin Kren kann man getrost als einen der hoffnungsvollsten Jungregisseure ansehen, der sich mit seinen Filmen keinem mitunter doch sehr prätentiösen Autorenfilm verschreibt, sondern auf hohem handwerklichem Niveau unterhaltsame Genrefilme inszeniert. Schon sein Erstling Rammbock, über eine Zombiepandemie in Berlin, war ein Erfolg, sicherlich kein großer cineastischer Meilenstein, wohl aber mit Kenntnis und Liebe zum Genre produziert. Blutgletscher bläst ins selbe Horn und könnte zudem als eines der besten Plagiate der Horrorfilmgeschichte gewertet werden.

Die Besatzung einer Forschungsstation in den Alpen, die die Auswirkungen des Klimawandels dokumentieren will, entdeckt eines Tages einen Gletscher, aus dem rote Materie austritt. Die Färbung rührt von bisher unbekannten Einzellern her, die durch das Abschmelzen der Gletscher freigesetzt wurden. Ihr Kontakt mit der örtlichen Tierwelt hat einen unangenehmen Effekt, fungieren die Einzeller doch gewissermaßen als eine Art Mini-Genlabore, die sich des genetischen Codes anderer Tiere bemächtigen und so willkürlich zusammengesetzte Mutanten erschaffen. Der misanthropische Ingenieur Janek (Gerhard Liebmann) erkennt den Ernst der Lage sofort, doch seine Kollegen wollen den bevorstehenden Besuch des „Klimakompetenzteams“ rund um Ministerin Bodicek (Brigitte Kren), zu dem auch Janeks Ex-Freundin Tanja (Edita Malovcic) gehört, nicht gefährden. Doch als immer mehr Mutanten auftauchen, spitzt sich die Lage für alle Beteiligten immer weiter zu…

Blutgletscher ist ein unverhohlener Abklatsch von John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt von 1982, seinerseits ein Remake des Klassikers von 1951 und basierend auf einer Kurgeschichte von John W. Campbell Jr. Die herrlich unappetitlichen Tiermutanten verweisen klar auf die bahnbrechenden Effekte des Carpenter-Films, der gar nicht genug von den Möglichkeiten bekommen konnte, einen Körper auf groteske Weise zu verformen. Damit nicht genug, Hauptdarsteller Gerhard Liebmann sieht als brummiger Janek dem wortkargen Kurt Russell und seinem MacReady auch durchaus ähnlich – äußerlich wie innerlich. Blutgletscher in irgendeiner Form besondere Originalität zu bescheinigen wäre zu viel des Guten. Dass der Film dennoch sehr gut funktioniert, ist vor allem einem Umstand zu verdanken: der bedingungslosen Liebe von Kren und seinem Drehbuchautor Benjamin Hessler zu dem Projekt. Das Augenzwinkern ist in jeder Szene spürbar, Kren und Hessler wissen ganz offensichtlich darum, dass ihr Film eine Alpenversion von The Thing ist, dass sie sich hier, ähnlich wie Peter Jackson mit King Kong, als Kinder im Kreise ihres Spielzeugs bewegen. Will heißen: Kleine Jungs spielen einen ihrer Lieblingsfilme nach. Was früher mit Playmobil-Männchen geschah, wird nun halt auf Film gebannt, aber das Prinzip ist das Gleiche. Es ist das Wissen um diesen Umstand und die sorgfältige Inszenierung, die Blutgletscher nicht ins Ärgerliche abdriften lässt. Man kann als Zuschauer ähnlichen Spaß haben wie die Jungs mit ihren Playmobil-Figuren.

So mögen die Figuren zweidimensional bleiben, ihre Konflikte an der Oberfläche kratzen und die Dramaturgie den üblichen Gepflogenheiten folgen, aber Blutgletscher nimmt die Situationen auf der einen Seite ernst genug, um einige erfolgreiche Schockmomente zu produzieren (der beste ist der erste Auftritt des Fuchsmutanten), auf der anderen ist er ebenso im wahrsten Wortsinne selbstbewusst, dass man nie das Gefühl hat, Kren nimmt sein inhaltlich hanebüchenes Monster-Mär allzu ernst. Hinzu kommt eine liebevolle Handwerkskunst, denn wo immer möglich, sind die Mutanten nicht am Computer errechnete Geschöpfe, sondern ausgeklügelte Puppen, deren Bewegungsfähigkeit dadurch zwar etwas eingeschränkter ist, aber ihre Präsenz gesteigert wird. Es ist immer schöner, wenn die Schauspieler auf etwas Reelles reagieren können und hier erhalten sie sehr viele Gelegenheiten dazu. Auch dieser unbedingte Wille zur Rekreation von vergangenen Genretagen trägt zum Wert des Films bei.

Das einzige, was man dem Film auch als wohlwollender Zuschauer vorwerfen kann, ist der Umstand, dass er am Ende sich einerseits zu wenig, andererseits zu viel zumutet. Zu wenig dahingehend, dass er die weitere Evolution der Mutanten unter den Tisch fallen lässt, obwohl das Setting nicht so abgeschlossen wie in Das Ding aus einer anderen Welt ist (und er darüber hinaus auch seine eigenen Regeln zu vergessen scheint – sind nicht alle Charaktere eigentlich infiziert und müssten sich elend fühlen?); zu viel, weil Kren und Hessler durch die letzte neue Mutation ein ganz neues Kapitel aufschlagen, dass den geneigten Zuschauer mit allerlei soziologischen und philosophischen Fragen zurücklässt. Ein Film, der diesen Erzählstrang weiterverfolgen würde, wäre nur noch das Echo eines Horrorfilms und würde viel mehr ins Fahrwasser eines Der Elefantenmensch geraten. Es ist ein unendlich potentes Konzept, dass hier entworfen wird, nur wirkt es im Kontext eines Films wie Blutgletscher fast fehl am Platz. Es würde von großem Mut zeugen, sollte eine Fortsetzung sich diesem annehmen.

Doch abgesehen davon, ob man aus den Implikationen aus Blutgletscher mehr herausschlägt oder es bei diesem inhaltlich dann nicht ganz geschlossenen One-Shot belässt, Kren ist ein Regisseur, auf den man in Zukunft achten sollte. Seine Filme mag es an vielen originellen Einfällen mangeln, aber nicht an Unterhaltungswert und Spielfreude. Und die eigene Mutter als taffe Ministerin zu besetzen und sie einen Mutanten mit einem Bohrer traktieren zu lassen, ist ohnehin eine ganz eigene Art von Ehrbezeugung, so wie der Film als Ganzes nicht nur als unterhaltsames Plagiat, sondern auch als Hommage gelesen werden kann.



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