Mittwoch, 20. November 2013

The Place Beyond the Pines (2012)




THE PLACE BEYOND THE PINES
USA 2012
Dt.
Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Derek Cianfrance

ACHTUNG! Diese Besprechung geht auf Details des Films ein, die man als „Spoiler“ bezeichnen könnte. Wer ein gänzlich unbeflecktes Filmerlebnis haben möchte, der komme erst nach dem Genuss des Films hier her zurück.

Es ist etwas unfair, Kino generell in die Bereiche „Arthouse“ und „Mainstream“ einzuordnen, da damit im Grunde nur Klischees befeuert werden: Im Programmkinos läuft große Kunst, in dem Multiplexen nur massenkompatibler Müll. Oberflächlich mag das sogar manchmal zutreffen, dies ist aber eher dem Umstand geschuldet, dass das vom US-Studiosystem beherrschte Kino den Mut zusehends verliert. Ein Film wie Man of Steel wird wahrscheinlich immer mehr Geld einspielen als eine unabhängige Produktion wie Take This Waltz. Das beide cineastischer Müll sind, auch wenn der letzter eindeutig zum „Arthouse“-Dunstkreis gehört, interessiert am Ende des Tages nur wenige. The Place Beyond the Pines ist nun ein interessantes Beispiel, weil es von außen betrachtet weitaus zugänglicher ist, als man es gemeinhin mit den Filmen des Programmkinos assoziiert (das auch dies nur eine Unterstellung ist, sollte Konsens sein). Unter der zunächst nicht verklausulierten Dramaturgie und der Gestaltung, die keine zu großen Experimente eingeht, um niemanden zu verschrecken, verbirgt sich ein kluger, involvierender Film mit eben jenem Mut, der oft so schmerzlich vermisst wird.

Der Staat New York, irgendwann am Ende der 1980er Jahre: Der schweigsame Luke (Ryan Gosling) arbeitet als Motorradstuntfahrer auf dem Jahrmarkt, der nach einiger Zeit wieder in der kleinen Stadt Schenectady Halt macht. Dort kontaktiert Luke eine ehemalige Geliebte, Romina (Eva Mendes), die ihm eröffnet, dass er einen Sohn im Babyalter hat. Luke kündigt daraufhin seinen Job, um für seine Familie zu sorgen, auch wenn Romina inzwischen bereits einen neuen Mann in ihrem Leben hat, Kofi (Mahershala Ali). Zusammen mit dem Mechaniker Robin (Ben Mendelsohn) beginnt Luke, Banken auszurauben, um mit dem Geld Möbel und Spielzeug für seinen Sohn zu kaufen. Eines Tages kann er nicht schnell genug vom Tatort fliehen und kreuzt den Weg des jungen Polizisten Avery (Bradley Cooper). Die Begegnung bleibt nicht ohne Folgen, nicht nur Avery, der sich mit der massiven Korruption seiner Kollegen konfrontiert sieht, und auch nicht 15 Jahre später für die beiden Teenager AJ (Emory Cohen) und Jason (Dane DeHaan)…

The Place Beyond The Pines nimmt die klassische Drei-Akts-Struktur des Spielfilms wörtlich und erzählt ein Triptychon. Alles ist verbunden, so lautete schon die Tagline für Cloud Atlas, aber Regisseur Derek Cianfrance (Blue Valentine) geht weitaus weniger prätentiös mit dieser Prämisse um als Tykwer und die Wachowski-Geschwister. Natürlich hat auch er Ambitionen, aber er verstrickt sich nicht in Megalomanie sondern bleibt im Kleinen. Mit der letzten Einstellung des Films endet die Geschichte nicht, The Place Beyond the Pines kann man als Anfang einer Blutfehde sehen – oder als Beginn eines jener Familiengeheimnisse, die verzweifelt zu verbergen versucht werden.

Familie ist das große Stichwort, auf dem Cianfrance seine Erzählung ausbaut, genauergesagt Väter/Männer in Familien. Dementsprechend ist The Place Beyond the Pines ein sehr männlich konnotierter Film, außer Eva Mendes hat keine Frau einen größeren Part, auch wenn beispielsweise die minuziöse Rose Byrne als Averys Ehefrau Jennifer aus der Geschichte nicht wegzudenken ist. Doch die Männer sind keine Helden, sie sind Getriebene. Sehr subtil hinterfragt Cianfrance dabei gängige Männlichkeitsbilder. Luke fühlt sich nicht als Mann, weil er seine Familie nicht auf klassische Art ernähren kann und lässt sich von dem einsamen, aber auch dubiosen Robin zu den Raubzügen überreden. Der gebildete Avery versucht in einer martialischen Welt „echter Männer“ zu bestehen und macht dabei nicht die gleichen, aber andere Fehler wie seine verhassten Kollegen: er vernachlässigt seinen Sohn, der doch nur seine Aufmerksamkeit will. Und Jason nimmt sich nicht das besonnene, positive Rollenbild seines Adoptivvaters zum Vorbild sondern meint, ein gewalthaltiges, „typisch männliches“ Verhalten würde seine Welt verbessern. The Place Beyond the Pines handelt von den sprichwörtlichen Sünden der Väter und portraitiert Männer als im Grunde schwaches Geschlecht, auch wenn er dabei nie die Zuneigung zu seinen Figuren verliert. Vielmehr verzweifelt er an den scheinbar unausweichlichen Konsequenzen, die nie hinterfragte Männlichkeitsbilder mit sich bringen. Wenn Jake Gewalt einsetzt, ist er durchaus schockiert über sich selbst, kann aber nicht aus seiner Haut ausbrechen und auch nur eine einzige Geste des Bedauerns zeigen. Avery lässt die rassistischen Schmähungen seiner Kollegen in seinem eigenen Haus durchgehen, duckt sich lange vor den vermeidlich erfahreneren (sprich: männlicheren) Kollegen, bis er seine Intelligenz nutzt, nur um gleich in die nächste männlich-konnotierte Emotionsfalle zu laufen, die im Song Cats in the Craddle in vielen Versionen besungen wurde: die Arbeit, das getrieben sein im Job nimmt ihm jede Zeit für die nächste Generation an Männern, die verdammt dazu scheinen, wieder Fehler zu begehen.

Als Ausweg stellt The Place Beyond the Pines reden, kommunizieren in den Raum – auch so Eigenschaften und Tätigkeiten, die Männern nicht per se zugeordnet werden. Wer nun meint, Cianfrance habe einen männerfeindlichen Film gedreht, der irrt. Es spricht vielmehr eine Verzweiflung aus ihm, ein Aufruf, sich stets zu hinterfragen und damit auch die als gegeben hingenommenen Strukturen. Teufelskreise lassen sich nicht durch Schweigen brechen. Männer machen zu viel mit sich selbst aus, daran lässt The Place Beyond the Pines keinen Zweifel und auch Eva Mendes‘ Part macht beileibe nicht alles richtig. Aber das Hauptaugenmerk liegt darauf, wie Männer mit Schuld, Sühne, ihrem Status als Sohn und Vater umgehen.

The Place Beyond the Pines ist eine emotionale Tour-de-Force, getragen von wunderbar glaubwürdig agierenden Darstellern, gefälligen Bildern und einem Füllhorn an Ebenen, Details und Einfällen, die entdeckt und analysiert werden wollen. Cianfrances Film kommt auf leisen Sohlen daher, aber wenn er zuschlägt (was er oft tut), dann mit einer ungeahnten Wucht. Involvierend und spannend erzählt, traurig und ambivalent in seinem Inhalt wünscht man The Place Beyond the Pines am Ende des Jahres den Weg auf viele Bestenlisten.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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