Dienstag, 30. Juli 2013

Argo (2012)




ARGO
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 08.11.2012
Regie: Ben Affleck

Der Ausspruch „Basierend auf einer wahren Begebenheit“ wird im Filmgeschäft geradezu inflationär gebraucht. So sehr, dass er seine Glaubwürdigkeit zusehends verspielt. Denn wenn er zuträfe, könnte man nicht mehr vor die Tür treten, ohne einer paranormalen Erscheinung oder einem wahnsinnigen Massenmörder gegenüberzustehen, deren Taten anschließend in einem Film „basierend auf wahren Begebenheiten“ dramatisiert werden. Bei Argo liegen die Dinge etwas anders. Er ist er nicht dem Horrorgenre zuzuordnen, welches sich überproportional auf angebliche Tatsachen stützt, sondern ein Thriller, der sich zwar einige Freiheiten bei der Erzählung seiner im Kern wahren Geschichte genehmigt, als fiktionalisierte Version einer Story, die so abgehoben ist, dass sie wahr sein muss, aber hervorragend funktioniert. Man könnte sogar so weit gehen, dass die Historie in Argo besser funktioniert als die Realität, bietet der Film doch einige Möglichkeiten, auch Dinge über den eigentlichen Inhalt hinaus zu kommentieren.

Ende 1979 fordert der im Zug der Islamischen Revolution eingesetzte Ayatollah Khomeini die Auslieferung des vorherigen Machthabers Mohammad Reza Schah Pahlavi, der sich zur Behandlung seiner Krebserkrankung (und aus Angst vor der Wut des Volkes) in den USA aufhält. Als sich die US-Regierung weigert, der Forderung nachzukommen, stürmen aufgebrachte Menschen die amerikanische Botschaft in Teheran und nehmen 52 Menschen als Geiseln. Sechs Botschaftsmitglieder können allerdings entkommen und finden im Haus des kanadischen Botschafters Unterschlupf. Als man davon in den USA Kenntnis erlangt, ist die Ratlosigkeit groß, wie man zumindest den sechs Entkommenden schnell beistehen kann. Während ein Eingreifen in der Botschaft aufgrund der vielen anwesenden Personen nicht praktikabel ist und diplomatisch gelöst werden muss, besteht für die anderen zumindest die Chance, das Land frühzeitig zu verlassen. CIA-Mann Tony Mendez (Ben Affleck) entwickelt schließlich einen irrsinnigen Plan. Mit Hilfe der beiden altgedienten Hollywoodgrößen John Chambers (John Goodman), Maskenbildner und Lester Siegel (Alan Arkin), (fiktionale) Regielegende fingiert er einen Film namens „Argo“, ein Krieg der Sterne-Rip-Off, für dessen benötigte exotische Kulissen man sich auch im Iran umsehen möchte. Mit gefälschten Pässen sollen die Geflohenen dann als Teil eines vorgegebenen kanadischen Filmteams an Mendez‘ Seite das Land verlassen…

Argo ist spannender als die Realität es wohl war. So kam es nie zu dem im Film gezeigten Showdown am Teheraner Flughafen. Weder war die Tarnung in Gefahr, noch versuchten Revolutionswächter, das Flugzeug im letzten Moment aufzuhalten. Im Gegenteil, bei der Aktion um 5:30 Uhr morgens waren die Wächter noch genauso müde wie das gefakte Filmteam und winkten sie einfach durch. Doch warum sollen die schnöden Fakten einer guten Geschichte im Weg stehen? Denn auch wenn Hardcore-Puristen die Fiktionalisierung bemängeln mögen, Argo versteht es trotzdem, ein geradezu altmodischer und dadurch auch nicht aufgeblasener Film zu werden. Regisseur Ben Affleck vermag es, sich mehr auf Situationen und auf innere Spannung zu verlassen, anstatt die Dinge zu einem unglaubwürdigen Ganzen aufzublasen. Die Rettungsaktion findet dementsprechend schnell statt, es gibt nicht unzählige Momente des Fast-Auffliegens und das Stürmen der Rollbahn durch die Revolutionswächter ist innerhalb des Films logisch nachvollziehbar und auch nicht übertrieben dargestellt. Es dient der Spannungssteigerung und auf diesem Gebiet ist Argo nahezu perfekt inszeniert.

Wie zu erwarten war, kam natürlich auch dieser Film nicht ohne spezielle Kritik davon. Der Iran empörte sich ob der Darstellung der Iraner, Neuseeland war sauer weil im Film kurz erwähnt wird, dass ihre Botschaft den Geflohenen angeblich den Unterschlupf verweigerte. Ben Affleck wurde angekreidet, dass er sich selbst als Tony Mendez besetzte und keinen hispanischen Schauspieler castete, ist der reelle Mendez doch Halb-Mexikaner. Dies führte zu der amüsanten Reaktion eben jenes reellen Mendez‘, der zu Protokoll gab, sich gar nicht als Halb-Mexikaner zu fühlen und sich deshalb an der Besetzung Afflecks auch nicht zu stören. Insgesamt war und ist der Tenor aber recht moderat, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass es weitaus schlimmere Darstellungen von Iranern im westlichen Mainstreamkino gibt (300). Argo bleibt zwar bei seinen westlichen Figuren, bringt durch die iranische Haushälterin in der kanadischen Botschaft allerdings ein weiteres Element mit ein, so dass die Iraner nicht gänzlich als Mob dastehen. Zudem bekennt sich der Film durchaus zu einer Amerika-kritischen Haltung, verschleiert er doch in seinem (wichtigen) Prolog nicht die üblen Machenschaften, die in letzter Konsequenz zu den Ereignissen der Handlung führten. Argo stellt klar, dass es nicht zu der Situation in der Botschaft gekommen wäre, wenn sich die US-Außenpolitik in entscheidenden Fragen und Situation anders verhandelt hätte. So sind diejenigen Iraner, die im Film als Antagonisten gezeichnet sind, auch Ausdruck einer direkten Mitschuld.

Neben dem naturgegeben starken politischen Aspekt ist Argo auch ein subtiler Kommentar zur Macht des Kinos. Nicht nur dass der Film als solches Politik und Geschichte spannend und unterhaltsam aufarbeitet und durchaus das Zeug hat, politisches Interesse, gerade im Hinblick auf neuerliche Konflikte zwischen USA und dem Iran, zu entfachen, auch innerhalb der Handlung finden sich Elemente, die von Liebe zum Film zeugen. In einer Pressekonferenz, in der „Argo“ der Presse vorgestellt wird und Cast und Crew die Geschichte in Kostümen quasi als Hörspiel inszenieren, schneidet der Film dies mit Bildern aus der Botschaft zusammen, wo die Moral der Geiseln durch fingierte Erschießungen zermürbt wird. Der eine Schwindel trifft auf den anderen, der grausamen Realität wird der eskapistische Reiz eines Science-Fiction-Märchens gegenübergestellt, und sei es noch so trashig. Argo wird so zu einem Statement, warum wir Kino, warum wir Filme brauchen. Es ist geradezu spitzbübisch, dass Afflecks Film den Flucht-Effekt des Kinos mit der dramatisierten Version einer realen Flucht koppelt und dass das Endergebnis dann auch noch so sehenswert ist.

Argo ist nicht ohne Schwächen, beispielsweise erfahren wir deprimierend wenig über die Botschaftsmitarbeiter und ihre Charaktere außerhalb von einigen lauwarmen Stichworten, aber insgesamt gelingt es Affleck, viele der weniger funktionierenden und schlicht klischeehaften Bausteine durch seine souveräne Regie vergessen zu machen. Argo ist hervorragendes Kino: clever erzählt, spannend aufbereitet und mit einiger Relevanz ausgestattet.



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