Donnerstag, 13. Juni 2013

The Loneliest Planet (2011)




THE LONELIEST PLANET
USA/Deutschland 2011
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Julia Loktev

ACHTUNG! In diesem Review verrate ich den zentralen Punkt für das Verständnis des Films. Wer ohne Spoiler leben möchte, liest den folgenden Text lieber erst nach der Begutachtung.

The Loneliest Planet ist ein Film, der größtmöglichen Wert auf Realismus setzt. Die Geschichte eines verlobten US-Pärchens, das sich als Backpacker durch Georgien schlagen, lebt von seiner improvisierten Qualität, dem absolut natürlichen Spiel seiner Hauptdarsteller. Umso seltsamer, ja geradezu ärgerlich ist es, dass der Film nach seinem dramaturgischen Wendepunkt in artifizielle abdriftet. Nach meiner Erfahrung verhalten sich Paare nicht so, schon gar nicht nach solch einer angespannten Situation.

Doch der Reihe nach. Nica (Hani Furstenberg) und Alex (Gael García Bernal) sind dreißig und wollen bald heiraten. Die offensichtlich gutsituierten Amerikaner nutzen die Zeit vor der Hochzeit für einen Trip durch Georgien. Zusammen mit dem erfahrenen Guide Dato (Bidzina Gujabidze) erkunden sie die wilde Schönheit des Landes, bis sie auf eine andere, drei Mann starke Gruppe von Einheimischen treffen. Es gibt ein Missverständnis (wenn georgisch gesprochen wird, fehlen konsequenterweise jegliche Untertitel) und einer der Männer richtet plötzlich eine Waffe auf die beiden Touristen. Alex benutzt Nica unwillkürlich als menschliches Schutzschild, nur um sie Sekunden später hinter sich zu schieben und den Platz vor dem Lauf einzunehmen. Dato kann die Situation entschärfen und die Männer ziehen wieder ab. Nach diesen Sekunden ist in der Beziehung von Nica und Alex allerdings nichts mehr so, wie es vorher war.

Die Aura der perfekten Improvisation prägt auch jenen Wendepunkt, der den Film exakt in zwei gleich lange Teile separiert. Es gibt vor und nach den drei Sekunden, die so ziemlich alles auf den Kopf stellen, was sich die beiden Protagonisten als progressive Westler unter einer modernen Paarbeziehung verstehen. Man spürt die Anspannung, die Angst in jener Szene, die erstaunlich viel Staub aufwirbelt. Alex versteckt sich als Mann hinter Nica – „darf“ er das, ist er nicht Angehöriger des „starken Geschlechts“? Nica will offensichtlich beschützt werden – „darf“ sie das als „moderne Frau“? Die Waffe katapultiert die Verlobten mit einem Schlag in eine heute als archaisch geltende Beziehungskonstellation hinein, die sie doch längst als überwunden ansahen. Die 48 Minuten, die dem Zwischenfall zuvor gingen, zeigten sie doch als modernes Pärchen mit gleichen Rechten und Pflichten – soll dies im Angesicht der Gefahr etwa nicht mehr gelten? Mit einem Mal sehen sie sich damit konfrontiert, dass auch ihrer Beziehung dieser „altbewährte“ Kern innewohnt und das der jeweils andere in neuem Licht erscheint.

Die Fragen, die The Loneliest Planet aufwirft, sind faszinierend, dass Alex und Nica nicht ein Wort über den Vorfall verlieren, weniger. Zugegebenermaßen wurden sie auch vorher nicht als die gesprächigsten aller Zeitgenossen eingeführt, aber nicht ein einziges Wort? Auch Dato bleibt in dieser Sache stumm, als Nica ihn 20 Film-Minuten (!) nach dem Vorfall nach den Hintergründen befragt, erhält sie keine Antwort. Die Sprachlosigkeit, durch die sich die beiden in den eigenen Gedanken verlieren, wird aufgrund der Natürlichkeit des Umgangs in der ersten Hälfte des Films überdeutlich als Script-Kniff entlarvt. Es muss natürlich keine ausschweifende Abhandlung werden, aber mit der vollkommenden Verweigerung irgendeiner Auseinandersetzung innerhalb des Paares macht es sich Regisseurin Julia Loktev doch etwas einfach und torpediert damit letztlich auch die Glaubwürdigkeit der Figuren als Paar. Die Chemie zwischen Bernal und Furstenberg ist großartig, umso unglaubwürdiger ist ihre vollkommende Sprachlosigkeit. Nochmals, Beziehungen, auch die wortkargsten, funktionieren meiner Erfahrung nach doch etwas anders. Da helfen auch an sich großartige Szenen wie jene im Zelt nicht, in der Alex ein Sex-Gesuch von Nica ungewöhnlich ruppig (vorangegangene Szenen dieser Art waren sanftmütiger) annimmt – das Alphamännchen muss seiner Partnerin (und nicht zuletzt sich selbst) beweisen, dass es immer noch ein „richtiger“ Mann ist.

Auch wenn die Künstlichkeit, die im zweiten Filmteil manchmal zu offensichtlich ans Tageslicht tritt, ist The Loneliest Planet eine interessante Abhandlung über Beziehungsgefüge, dass zudem noch mit grandiosen Bildern aus dem Kaukasus aufwarten kann. Der Mensch wird klein in der unberührten Natur und der Film nimmt sich die Zeit, den Weg der Protagonisten ausführlich zu zeigen. Dies hat durchaus repetitive Züge, auch weil die eingesetzte Musik stets die gleiche ist und immer abrupt mit der nächsten Spielszene endet, aber dennoch haben die Bilder eine ganz eigene poetische Kraft. Manchmal ist es wie ein Kunstwerk innerhalb eines Kunstwerks. The Loneliest Planet ist ein sehr ruhiger Film, der voll und ganz auf seine Schauspieler, seine Bilder und seine aufgeworfenen Fragen verlässt, die der Film selbst nicht beantworten mag. Wie man die Beziehung von Nica und Alex letztlich interpretiert, ob gar das Schweigen und das entsprechend lautlose Zweifeln gerechtfertigt ist oder nicht, diese Fragen bleiben beim Zuschauer.





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