THE LONELIEST PLANET
USA/Deutschland 2011
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Julia Loktev
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Julia Loktev
ACHTUNG! In diesem Review verrate ich
den zentralen Punkt für das Verständnis des Films. Wer ohne Spoiler leben
möchte, liest den folgenden Text lieber erst nach der Begutachtung.
The Loneliest Planet
ist ein Film, der größtmöglichen Wert auf Realismus setzt. Die Geschichte eines
verlobten US-Pärchens, das sich als Backpacker durch Georgien schlagen, lebt
von seiner improvisierten Qualität, dem absolut natürlichen Spiel seiner
Hauptdarsteller. Umso seltsamer, ja geradezu ärgerlich ist es, dass der Film
nach seinem dramaturgischen Wendepunkt in artifizielle abdriftet. Nach meiner
Erfahrung verhalten sich Paare nicht so, schon gar nicht nach solch einer
angespannten Situation.
Doch der Reihe nach. Nica (Hani Furstenberg) und Alex (Gael
García Bernal) sind dreißig und wollen bald heiraten. Die offensichtlich
gutsituierten Amerikaner nutzen die Zeit vor der Hochzeit für einen Trip durch
Georgien. Zusammen mit dem erfahrenen Guide Dato (Bidzina Gujabidze) erkunden
sie die wilde Schönheit des Landes, bis sie auf eine andere, drei Mann starke
Gruppe von Einheimischen treffen. Es gibt ein Missverständnis (wenn georgisch
gesprochen wird, fehlen konsequenterweise jegliche Untertitel) und einer der
Männer richtet plötzlich eine Waffe auf die beiden Touristen. Alex benutzt Nica
unwillkürlich als menschliches Schutzschild, nur um sie Sekunden später hinter
sich zu schieben und den Platz vor dem Lauf einzunehmen. Dato kann die Situation
entschärfen und die Männer ziehen wieder ab. Nach diesen Sekunden ist in der
Beziehung von Nica und Alex allerdings nichts mehr so, wie es vorher war.
Die Aura der perfekten Improvisation prägt auch jenen
Wendepunkt, der den Film exakt in zwei gleich lange Teile separiert. Es gibt
vor und nach den drei Sekunden, die so ziemlich alles auf den Kopf stellen, was
sich die beiden Protagonisten als progressive Westler unter einer modernen
Paarbeziehung verstehen. Man spürt die Anspannung, die Angst in jener Szene,
die erstaunlich viel Staub aufwirbelt. Alex versteckt sich als Mann hinter Nica
– „darf“ er das, ist er nicht Angehöriger des „starken Geschlechts“? Nica will
offensichtlich beschützt werden – „darf“ sie das als „moderne Frau“? Die Waffe
katapultiert die Verlobten mit einem Schlag in eine heute als archaisch
geltende Beziehungskonstellation hinein, die sie doch längst als überwunden
ansahen. Die 48 Minuten, die dem Zwischenfall zuvor gingen, zeigten sie doch
als modernes Pärchen mit gleichen Rechten und Pflichten – soll dies im Angesicht der Gefahr
etwa nicht mehr gelten? Mit einem Mal sehen sie sich damit konfrontiert, dass
auch ihrer Beziehung dieser „altbewährte“ Kern innewohnt und das der jeweils
andere in neuem Licht erscheint.
Die Fragen, die The
Loneliest Planet aufwirft, sind faszinierend, dass Alex und Nica nicht ein
Wort über den Vorfall verlieren, weniger. Zugegebenermaßen wurden sie auch
vorher nicht als die gesprächigsten aller Zeitgenossen eingeführt, aber nicht
ein einziges Wort? Auch Dato bleibt in dieser Sache stumm, als Nica ihn 20
Film-Minuten (!) nach dem Vorfall nach den Hintergründen befragt, erhält sie
keine Antwort. Die Sprachlosigkeit, durch die sich die beiden in den eigenen
Gedanken verlieren, wird aufgrund der Natürlichkeit des Umgangs in der ersten
Hälfte des Films überdeutlich als Script-Kniff entlarvt. Es muss natürlich
keine ausschweifende Abhandlung werden, aber mit der vollkommenden Verweigerung
irgendeiner Auseinandersetzung innerhalb des Paares macht es sich Regisseurin
Julia Loktev doch etwas einfach und torpediert damit letztlich auch die
Glaubwürdigkeit der Figuren als Paar. Die Chemie zwischen Bernal und
Furstenberg ist großartig, umso unglaubwürdiger ist ihre vollkommende
Sprachlosigkeit. Nochmals, Beziehungen, auch die wortkargsten, funktionieren
meiner Erfahrung nach doch etwas anders. Da helfen auch an sich großartige
Szenen wie jene im Zelt nicht, in der Alex ein Sex-Gesuch von Nica ungewöhnlich
ruppig (vorangegangene Szenen dieser Art waren sanftmütiger) annimmt – das Alphamännchen
muss seiner Partnerin (und nicht zuletzt sich selbst) beweisen, dass es immer
noch ein „richtiger“ Mann ist.
Auch wenn die Künstlichkeit, die im zweiten Filmteil
manchmal zu offensichtlich ans Tageslicht tritt, ist The Loneliest Planet eine interessante Abhandlung über
Beziehungsgefüge, dass zudem noch mit grandiosen Bildern aus dem Kaukasus
aufwarten kann. Der Mensch wird klein in der unberührten Natur und der Film
nimmt sich die Zeit, den Weg der Protagonisten ausführlich zu zeigen. Dies hat
durchaus repetitive Züge, auch weil die eingesetzte Musik stets die gleiche ist
und immer abrupt mit der nächsten Spielszene endet, aber dennoch haben die
Bilder eine ganz eigene poetische Kraft. Manchmal ist es wie ein Kunstwerk
innerhalb eines Kunstwerks. The Loneliest
Planet ist ein sehr ruhiger Film, der voll und ganz auf seine Schauspieler,
seine Bilder und seine aufgeworfenen Fragen verlässt, die der Film selbst nicht
beantworten mag. Wie man die Beziehung von Nica und Alex letztlich
interpretiert, ob gar das Schweigen und das entsprechend lautlose Zweifeln
gerechtfertigt ist oder nicht, diese Fragen bleiben beim Zuschauer.
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