THE GREY – UNTER WÖLFEN
(The Grey)
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 12.04.2012
Regie: Joe Carnahan
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 12.04.2012
Regie: Joe Carnahan
Man kann sich nicht des Gefühls erwehren,
dass wann immer eine Frage aus dem Themengebiet „Tiere“ bei Günter Jauchs Wer wird Millionär? gestellt wird, die Kandidaten
entweder recht lange für die Beantwortung der Frage brauchen,
überdurchschnittlich viele Joker einsetzen oder ganz aufgeben. Besuche in Zoos
und die dort meist unfreiwillig zu hörende Kommentare und Erklärungen der
Besucher zeugen davon, dass manchmal jede noch so gut gemachte und informative
Tafel am Gehege vergebens ist. Und den Umstand, dass ein Bär erschossen wurde,
weil er sich wie ein Bär verhielt, muss man kaum noch extra erwähnen. Man muss
also nicht die Debatten in den Feuilletons und den Radiofeatures verfolgen, um
den Eindruck zu bekommen, dass der Mensch allgemein recht wenig über die
Millionen anderen Arten auf der Erde weiß. Schlimmer noch, viele scheint es
nicht einmal zu interessieren. Dieses Unwissen, im Grunde nur der
modern-verlängerte Arm eines archaischen Aberglaubens, kostet nicht nur auch
heutzutage noch viel zu vielen Tieren das Leben, es findet in einem der
dümmsten Subgenres, dem Tierhorror, auch seine cinematische Entsprechung. The Grey – Unter Wölfen ist ein solches
Beispiel, ein Film, der wirklich gut hätte werden können, wenn er sich nicht
auf eine billige Dämonisierung von Wölfen setzen würde. Fast immer wenn der
Film zu wirklicher Größe ansetzt, schmeißt Regisseur Joe Carnahan Versatzstücke
aus der Mottenkiste des Tierhorrors in den Ring und stört so seinen eigenen Fluss.
Ottway (Liam Neeson) ist ein wortkarger Jäger, der für eine
Ölfirma in Alaska die Belegschaft vor marodierenden Wölfen beschützt. Ottway,
depressiv und akut selbstmordgefährdet, hat seine Frau verloren und schwebt
eher traumwandlerisch durch die Tage, anstatt zu leben. Bei dem Rückflug aus
der weißen Hölle hinaus stürzt das Flugzeug der Gesellschaft ab. Neben Ottway
überleben nur sechs weitere Männer das Unglück. Bei über zwanzig Grad minus
entpuppen sich Hunger und Kälte als das geringste Problem: ein Rudel Wölfe
sieht in den Menschen Reviereindringlinge und macht blutige Jagd auf sie. Mit
zunehmender Dezimierung wird die Lage für die Männer immer hoffnungsloser…
Es gibt Momente in The
Grey, die schlicht brillant sind und gar nicht zu der Vermarktung als
Abenteuer-Survival-Tierhorror-Thriller passen wollen. Ottway, der einen
Sterbenden im Flugzeug in den Tod hinüberhilft, beispielsweise. Diese Sequenz
wird mit viel Liebe und Humanismus inszeniert, vor allem aber weit ab der
gängigen Klischees – Männer dürfen weinen und zornig werden im Angesicht des
Todes. Peinlich-überzeichnete maskuline Muskelspiele sind in The Grey verhältnismäßig wenig zu
finden, auch wenn man natürlich nicht um die üblichen dummen, leicht
sexistischen Oneliner herumkommt. Und am Ende wird die finale Konfrontation mit
dem – natürlich – pechschwarzen Alpha-Wolf und dem Alpha-Menschen Ottway als
unumgängliche Art gesehen, ein „letztes gutes Gefecht“ zu erleben, wie es
Ottway im Film mehrfach erwähnt. Boys
will be boys…
Andere großartige Momente sind Ottways Selbstmordversuch vor
unheimlich-schöner Naturkulisse und die erstaunlich lange und emotional
effektive Sequenz an einem Fluss inmitten der Wildnis. Es sind solche Momente,
die The Grey zu einem Film machen
könnten, der unter die Haut geht, der seiner behauptete Absicht, mehr zu sein
als ein Survival-Thriller, wirklich Rechnung tragen könnten, wenn nicht jede
dieser von grausamer Schönheit geprägten Szenen sofort wieder auf den störenden
Tierhorror-Aspekt zurückkommen würden. Wenn fernes Wolfsgeheul noch als
symbolischer Abbruch von Ottways Selbstmordversuch in Ordnung ist, wird die
Fluss-Szene durch unnötige Suggestion torpediert. Die Wölfe kommen so oder so,
müssen sie auch noch wie außerirdische Monster angekündigt werden?
Letztlich läuft es alles darauf hinaus, dass The Grey ohne das mörderische Wolfsrudel
ein besserer Film gewesen wäre. Der Anblick von Wölfen, die sich an den Leichen
gütlich tun, wäre beispielsweise gruseliger gewesen, wenn der CGI-Wolf Neeson
nicht auch noch anspringen würde. Eine Auseinandersetzung mit dem Überleben und
der Möglichkeit des Todes ohne billige dramaturgische Kniffe – The Grey hätte ein wirklich
involvierendes Erlebnis werden können. Die Zutaten sind alle da, selbst eine
selbstbewusste, atheistische Haltung erlaubt sich der Film. Wenn Ottway
verzweifelt zum Himmel empor und Gott anruft, nur um dann zu dem Schluss zu
kommen, dass nur er sich selbst helfen kann, ist The Grey näher am Art House als am Mainstream, der in Form der
caniden Bedrohung aber immer wieder einbricht und den Film eher zu Pitch Black – Planet der Finsternis
macht als zu einem Survival-Drama á la Überleben!.
Tolle Bilder, einige mutige Einfälle, die von einem gewissen
Willen zur anderen Inszenierung sprechen und eine ernstzunehmende Diskussion
über Spiritualität im Angesicht des nahen Todes werden ständig von den tumben
Tierhorror-Elementen unterbrochen und machen aus The Grey schlussendlich einen gleichzeitig faszinierenden und nerv
tötenden Film. Ob dieser Zwiespalt als ganz eigene Form der Empfehlung
herhalten kann, darüber darf gestritten werden.
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