Donnerstag, 6. Juni 2013

The Grey - Unter Wölfen (2011)




THE GREY – UNTER WÖLFEN
(The Grey)
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 12.04.2012
Regie: Joe Carnahan

Man kann sich nicht des Gefühls erwehren, dass wann immer eine Frage aus dem Themengebiet „Tiere“ bei Günter Jauchs Wer wird Millionär? gestellt wird, die Kandidaten entweder recht lange für die Beantwortung der Frage brauchen, überdurchschnittlich viele Joker einsetzen oder ganz aufgeben. Besuche in Zoos und die dort meist unfreiwillig zu hörende Kommentare und Erklärungen der Besucher zeugen davon, dass manchmal jede noch so gut gemachte und informative Tafel am Gehege vergebens ist. Und den Umstand, dass ein Bär erschossen wurde, weil er sich wie ein Bär verhielt, muss man kaum noch extra erwähnen. Man muss also nicht die Debatten in den Feuilletons und den Radiofeatures verfolgen, um den Eindruck zu bekommen, dass der Mensch allgemein recht wenig über die Millionen anderen Arten auf der Erde weiß. Schlimmer noch, viele scheint es nicht einmal zu interessieren. Dieses Unwissen, im Grunde nur der modern-verlängerte Arm eines archaischen Aberglaubens, kostet nicht nur auch heutzutage noch viel zu vielen Tieren das Leben, es findet in einem der dümmsten Subgenres, dem Tierhorror, auch seine cinematische Entsprechung. The Grey – Unter Wölfen ist ein solches Beispiel, ein Film, der wirklich gut hätte werden können, wenn er sich nicht auf eine billige Dämonisierung von Wölfen setzen würde. Fast immer wenn der Film zu wirklicher Größe ansetzt, schmeißt Regisseur Joe Carnahan Versatzstücke aus der Mottenkiste des Tierhorrors in den Ring und stört so seinen eigenen Fluss.

Ottway (Liam Neeson) ist ein wortkarger Jäger, der für eine Ölfirma in Alaska die Belegschaft vor marodierenden Wölfen beschützt. Ottway, depressiv und akut selbstmordgefährdet, hat seine Frau verloren und schwebt eher traumwandlerisch durch die Tage, anstatt zu leben. Bei dem Rückflug aus der weißen Hölle hinaus stürzt das Flugzeug der Gesellschaft ab. Neben Ottway überleben nur sechs weitere Männer das Unglück. Bei über zwanzig Grad minus entpuppen sich Hunger und Kälte als das geringste Problem: ein Rudel Wölfe sieht in den Menschen Reviereindringlinge und macht blutige Jagd auf sie. Mit zunehmender Dezimierung wird die Lage für die Männer immer hoffnungsloser…

Es gibt Momente in The Grey, die schlicht brillant sind und gar nicht zu der Vermarktung als Abenteuer-Survival-Tierhorror-Thriller passen wollen. Ottway, der einen Sterbenden im Flugzeug in den Tod hinüberhilft, beispielsweise. Diese Sequenz wird mit viel Liebe und Humanismus inszeniert, vor allem aber weit ab der gängigen Klischees – Männer dürfen weinen und zornig werden im Angesicht des Todes. Peinlich-überzeichnete maskuline Muskelspiele sind in The Grey verhältnismäßig wenig zu finden, auch wenn man natürlich nicht um die üblichen dummen, leicht sexistischen Oneliner herumkommt. Und am Ende wird die finale Konfrontation mit dem – natürlich – pechschwarzen Alpha-Wolf und dem Alpha-Menschen Ottway als unumgängliche Art gesehen, ein „letztes gutes Gefecht“ zu erleben, wie es Ottway im Film mehrfach erwähnt. Boys will be boys

Andere großartige Momente sind Ottways Selbstmordversuch vor unheimlich-schöner Naturkulisse und die erstaunlich lange und emotional effektive Sequenz an einem Fluss inmitten der Wildnis. Es sind solche Momente, die The Grey zu einem Film machen könnten, der unter die Haut geht, der seiner behauptete Absicht, mehr zu sein als ein Survival-Thriller, wirklich Rechnung tragen könnten, wenn nicht jede dieser von grausamer Schönheit geprägten Szenen sofort wieder auf den störenden Tierhorror-Aspekt zurückkommen würden. Wenn fernes Wolfsgeheul noch als symbolischer Abbruch von Ottways Selbstmordversuch in Ordnung ist, wird die Fluss-Szene durch unnötige Suggestion torpediert. Die Wölfe kommen so oder so, müssen sie auch noch wie außerirdische Monster angekündigt werden?

Letztlich läuft es alles darauf hinaus, dass The Grey ohne das mörderische Wolfsrudel ein besserer Film gewesen wäre. Der Anblick von Wölfen, die sich an den Leichen gütlich tun, wäre beispielsweise gruseliger gewesen, wenn der CGI-Wolf Neeson nicht auch noch anspringen würde. Eine Auseinandersetzung mit dem Überleben und der Möglichkeit des Todes ohne billige dramaturgische Kniffe – The Grey hätte ein wirklich involvierendes Erlebnis werden können. Die Zutaten sind alle da, selbst eine selbstbewusste, atheistische Haltung erlaubt sich der Film. Wenn Ottway verzweifelt zum Himmel empor und Gott anruft, nur um dann zu dem Schluss zu kommen, dass nur er sich selbst helfen kann, ist The Grey näher am Art House als am Mainstream, der in Form der caniden Bedrohung aber immer wieder einbricht und den Film eher zu Pitch Black – Planet der Finsternis macht als zu einem Survival-Drama á la Überleben!.

Tolle Bilder, einige mutige Einfälle, die von einem gewissen Willen zur anderen Inszenierung sprechen und eine ernstzunehmende Diskussion über Spiritualität im Angesicht des nahen Todes werden ständig von den tumben Tierhorror-Elementen unterbrochen und machen aus The Grey schlussendlich einen gleichzeitig faszinierenden und nerv tötenden Film. Ob dieser Zwiespalt als ganz eigene Form der Empfehlung herhalten kann, darüber darf gestritten werden.





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